© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/10 03. September 2010

Werte-Test für Eisverkäufer
Staatsrechtler lehnt Gesinnungsprüfungen ab
(JF)

Der Freiburger Staatsrechtler Ralf Poscher (48) hat vor einer „Kultur der Gesinnungsprüfung“ gewarnt. Das Grundgesetz verlange von seinen Bürgern keine Identifikation mit der Verfassung, schreibt der Direktor des Instituts für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg in der renommierten Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW 34/2010).

Dort setzt er sich in einem Beitrag mit dem jüngst vom Sozialministerium in Mecklenburg-Vorpommern erlassenen Radikalenerlaß für Kindertagesstätten und Tagespfleger auseinander. Darin hatte Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD) Anfang August verfügt, daß Kita-Betreiber und Erzieher ein Bekenntnis zur „grundgesetzlichen Werteordnung“ ablegen müssen (JF berichtete).

Staat darf Aufsicht nicht ausweiten

In der NJW warf Ralf Poscher dem Ministerium jetzt vor, mit dem Erlaß über das Ziel hinausgeschossen zu sein. Die Entscheidung, von Erziehern eine Gesinnungserklärung zu verlangen, beruhe auf verfassungsrechtlichen Mißverständnissen. Zum einen räume das Grundgesetz dem Staat ein Aufsichtsrecht nur für die Schule ein. Der Staat dürfe dieses Aufsichtsrecht aber nicht auf andere gesellschaftliche Bereiche ausweiten. „Ebensowenig wie der Staat der Presse oder den Religionsgemeinschaften vorschreiben kann, an welchen Werten sie sich zu orientieren haben, kann er dies für Betreuungseinrichtungen tun, die nicht unter die besondere Schulpflicht fallen“, schreibt Poscher.

Jenseits der Schule sei es eine Entscheidung der Eltern, nicht des Staates, welche religiöse, weltanschauliche oder politische Ausrichtung die Betreuung ihrer Kinder haben solle. „Mit diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben ist die Vorraussetzung eines Gesinnungsbekenntnisses als Genehmigungsvorraussetzung für Kindertagesstätten und Tagespfleger nicht vereinbar.“

Zum anderen dürfe die Gesinnung der Erzieher laut Poscher auch nicht allein ausschlaggebend sein. Vor allem nicht, solange kein Grund zur Besorgnis bestehe, „daß eine mit den Werten der Verfassung nicht übereinstimmende Gesinnung dazu führt, daß der Betroffene die ihm übertragenen Aufgaben nicht im Einklang mit der Rechts- und Verfassungsordnung ausführt“. Sollte dieser Grundsatz nicht gelten, stelle sich die Frage, auf wen die Gesinnungserklärungen noch ausgeweitet werden sollten: auf „Sportvereine und Jugendtrainer, Kirchengruppen und Gruppenleiter, Kinderbuchhandlungen, Spielzeugläden und Eisverkäufer?“

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