© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/10 10. September 2010

Keine Opfer zweiter Klasse
Geschichtspolitik: Mit mehreren Veranstaltungen ist am Wochenende in Brandenburg an die Leidtragenden der kommunistischen Gewaltherrschaft erinnert worden
Ekkehard Schultz

Mit mehreren Veranstaltungen ist am vergangenen Wochenende in Brandenburg an die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft während der sowjetischen Besatzung sowie in der frühen DDR erinnert worden.   

In Kyritz (Oberprignitz) sowie auf Schloß Kampehl bei Neustadt (Dosse) stand am Samstag das Schicksal der Opfer der sogenannten Bodenreform sowie der Zwangskollektivierung im Mittelpunkt. Auf den Gedenkveranstaltungen, die gemeinsam von der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum (ARE) sowie von der Union der Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) organisiert wurden, wies der lange Jahre in der Prignitz tätige Pastor Ulrich Woronowicz darauf hin, daß die Enteigneten und Verfolgten „lange genug Geduld im Schweigen und Maßhalten“ geübt hätten. Inzwischen sei es jedoch längst nicht mehr hinnehmbar, daß auch zwanzig Jahre nach der Wiederherstellung einer demokratischen Ordnung in Mitteldeutschland das kurz nach Kriegsende begangene Unrecht nur selten eindeutig als solches bezeichnet werde. Statt dessen schweige die Öffentlichkeit zu diesem Thema weitestgehend. Dabei stellten sowohl die Bodenreform als auch die spätere Zwangskollektivierung eindeutig Maßnahmen dar, die auf der Grundlage einer totalitären Herrschaftspraxis beruhten.

Der Vorsitzende der ARE, Man-fred Graf von Schwerin, erinnerte in seiner Rede daran, daß die in Kyritz am 2. September 1945 vom späteren DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck verkündete „demokratische Bodenreform“ keineswegs nur eine Enteignung, sondern zugleich in nahezu allen Fällen auch eine politische Verfolgung gewesen sei. So fand die tatsächliche Überprüfung einer persönlichen Schuld der vermeintlichen „Junker“ und Großbauern während des Nationalsozialismus nie statt. Vielmehr wurden die Individuen als Klasse nach rein ideologischen Maßstäben bekämpft, in ähnlicher Form wie später die städtische und ländliche Mittelschicht. Um so enttäuschender sei es, daß nach 1989 die „roten Enteignungen“ zum überwiegenden Teil nicht revidiert wurden, sondern faktisch fortgeschrieben wurden.

Ebenso kritisierte auch der Vorsitzende der UOKG, Rainer Wagner, in Kampehl das Verhalten der damaligen sowie der heutigen Regierung in der Enteignungsfrage. Zwar sei etwa dem letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizère ebenso wie der heutigen Bundeskanzlerin Angela Merkel durchaus bewußt, daß die meisten Opfer der Bodenreform sowie der Zwangskollektivierung nach 1990 keinen oder einen nur höchst unzureichenden Ausgleich erhielten. Dennoch sei die Politik bis heute nicht bereit, deutliche Zeichen in eine andere Richtung zu setzen. Damit akzeptiere sie den weitestgehenden Erhalt der alten DDR-Strukturen in der Landwirtschaft, sagte Wagner.

Auch auf dem Gelände des ehemaligen sowjetischen Speziallagers Sachsenhausen fand am Wochenende eine Gedenkveranstaltung statt, die erstmals seit zehn Jahren wieder gemeinsam von der Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945 – 1950 e.V. und der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten organisiert wurde. Dabei präsentierte Stiftungsdirektor Günter Morsch das Totenbuch mit den 11.890 Namen der während der Haft Verstorbenen. Das Buch wurde in Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz und mit Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur erstellt. Die ersten Exemplare sollen an Verwandte und Nachkommen der ehemaligen Häftlinge überreicht werden.

Durch das Totenbuch ist nach Ansicht des zweiten Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen, Richard Buchner, „die Würde der Toten wiederhergestellt“. Sie seien nunmehr „keine Opfer zweiter Klasse“ mehr, sondern gleichrangig mit den Opfern des Nationalsozialismus. Gleichfalls erinnerte Buchner aber auch daran, daß sich bis heute die früheren Häftlinge des Speziallagers häufig immer noch gegen den Verdacht wehren müssen, allesamt Mitläufer oder Unterstützer des nationalsozialistischen Regimes gewesen zu sein. In ähnlicher Weise äußerte sich auch die brandenburgische Kulturministerin Martina Münch. „Die Erinnerung und das Gedenken an die Verfolgten und Opfer der NS-Diktatur, des Stalinismus und der SED-Diktatur müssen in angemessenem Verhältnis zueinander stehen“, sagte Münch. Zudem mahnte sie an, daß „weder die vor, noch die nach 1945 verübten Verbrechen relativiert, bagatellisiert, marginalisiert oder gegeneinander aufgerechnet werden“ dürfen.

Am Samstag fand am ehemaligen Speziallager in der Nähe von Mühlberg (Landkreis Elbe-Elster) ebenfalls ein Opfergedenken statt. Dort waren zwischen 1945 und 1948 mehr als 21.800 Menschen inhaftiert. Nahezu 7.000 von ihnen kamen dort ums Leben.

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