© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/10 17. September 2010

„Wir sind größer als Attac“
Der Publizist Martin Lohmann organisiert am Samstag Berlins bedeutenste konservative Demonstration 2010
Moritz Schwarz

Herr Lohmann, der „Marsch für das Leben“, der am Samstag Mittag in Berlin Mitte stattfindet, hat sich mittlerweile zur größten konservativen Demonstration in der Bundeshauptstadt gemausert.

Lohmann: Ja, offensichtlich ist das so, jedenfalls zur wichtigsten. Denn wer für das Leben ist, ist im besten Sinne des Wortes konservativ. Aber das ist ja letztlich etwas ziemlich Progressives.

Um was geht es genau?

Lohmann: Es handelt sich um eine der ganz wichtigen Veranstaltungen von engagierten Christen in Deutschland. Wir moralisieren nicht, wir schreiben nichts vor, aber wir machen ganz deutlich darauf aufmerksam, daß es keine Alternative zur Unantastbarkeit der Menschenwürde und zum nicht teilbaren Recht auf Leben gibt. Der „Marsch für das Leben“ ist ein friedlicher Schweigemarsch. Wir fordern von Politik und Gesellschaft mehr Einsatz für das Lebensrecht, um das schreiende Unrecht der Abtreibung zu beenden und das erneute Aufkommen der Euthanasie zu stoppen. Die mitgetragenen weißen Holzkreuze und die Kinderfotos sind als Zeichen der Trauer auch ein Zeichen des Gedenkens an die Tag für Tag abgetriebenen Kinder und an die Frauen und Männer, die darunter leiden.

Organisiert wird der Marsch vom Bundesverband Lebensrecht (BVL), der Dachorganisation der deutschen Lebensschutzverbände, dessen neuer Vorsitzender Sie sind. Erstmals steht dem BVL damit ein als politischer Konservativer bekannter Profi-Journalist vor.

Lohmann: Vielleicht kann ich mit meiner Berufserfahrung ja einen kleinen Beitrag dazu leisten, daß unser Anliegen deutlicher in der Mitte der Gesellschaft wahrgenommen wird, und daß einige Medien ihre Furcht vor objektiver und angemessener Berichterstattung verlieren. Tatsache ist, daß der BVL zahlenmäßig wesentlich größer ist als etwa Attac. Das überrascht Sie jetzt vermutlich, aber Attac wird eben von vielen Medien regelrecht aufgepumpt. Das ist wohl für Journalisten unverfänglicher als die maßstabsgerechte Berichterstattung über Lebensrecht und Lebensschutz. Übrigens, auch die anders wahrgenommene Homolobby ist kleiner als vermutet. Unsere Basisbewegung hingegen wird immer größer. Der Lebensschutz hat unglaublich viele, leider ziemlich stille Unterstützer. Friedliche Bürger neigen in Deutschland leider nicht zu öffentlichen Demonstrationen, selbst wenn sie sich ärgern. Aber sie unterstützen uns.

Derzeit wird kräftig über eine Sarrazin-Partei spekuliert, die aus der Mitte dieser enttäuschten Bürger entstehen könnte. Im ARD-„Bericht aus Berlin“ kritisierten Sie am Sonntag, „der Kern (der CDU) wird nicht mehr richtig bedient“.

Lohmann: Im Focus habe ich das mal so formuliert: Wer zu weit links fischt, der könnte irgendwann über Bord gehen. Es wäre fatal, wenn die Union sich nach links öffnet und gleichzeitig das Signal an die liberal-konservativen Stammwähler aussendet: „Ihr seid uns egal, ihr wählt uns ja eh.“ Das nämlich ist ein entscheidender und arroganter Irrtum, wie sich ja längst zeigt.

Aber genau das ist ja nun mit dem Rausmobben Erika Steinbachs aus dem CDU-Präsidium erneut passiert.

Lohmann: Schlimm genug. Aber ebenso schlimm ist, daß viele brave Partei-Satelliten rund um die Spitze offenbar immer noch nicht gemerkt haben, was da passiert. Oder nicht merken wollen. Das ist für die CDU eine ganz kostspielige Tragik.

Sie sind zudem Vorsitzender und Mitbegründer des Arbeitskreises Engagierter Katholiken in der CDU (AEK), mit dem Sie, so attestierte Ihnen der „Spiegel“ im letzten Jahr, einen „wahren Kulturkampf“ in der CDU entfesselt hätten.

Lohmann: Jedenfalls wird jetzt kräftig und an vielen Stellen diskutiert. Und das ist gut so! Wenn wir mit unserer vermeintlichen politischen Todsünde – in dieser Partei Diskussions- und Streitkultur einzufordern – ein wenig dazu beitragen konnten, die Angst vor Widerspruch und demokratischer Debatte zu verringern, soll uns das nur recht sein. Viele von denen, die uns nach unserer Gründung im Herbst 2009 beschimpft haben, melden sich heute mit nach wie vor berechtigten Forderungen zu Wort. Wir fordern eben mehr „C“ in der Union: Wenn Sie in der Apotheke Vitamin C verlangen und eine Tüte Mehl bekommen, sind Sie ja auch nicht zufrieden. Wo „C“ draufsteht, muß auch „C“ drin sein. Vergessen Sie bitte nicht: Mehr als vier Millionen Wähler hat die Union seit 2002 verloren. Der Konservative ist der wirklich Fortschrittliche, weil er das Bewährte von gestern im Heute als Sprungbrett für das Morgen nutzt.

Vor Monaten noch haben zahlreiche Medien über den AEK berichtet, inzwischen ist es allerdings still um ihn geworden. 

Lohmann: Wie gesagt: Wir haben viel erreicht. Vor einem knappen Jahr wurden wir noch von vielen beschimpft, die nun ihrerseits mehr Profilbreite und endlich wieder eine Diskussions- und Streitkultur in der Partei einfordern. Aus Gründen der Loyalität will ich hier nicht sagen, wer von den einst Empörten angesichts der ach so unverschämt demokratischen Wortmeldungen des AEK längst Abbitte geleistet hat. Neulich meinte jemand zu mir, der ebenfalls sehr gute interne Einblicke in die Partei hat, die Wirklichkeit in der Partei sei ja noch erschreckender als von uns damals beschrieben.

Das heißt konkret?

Lohmann: Daß wir nicht übertrieben haben mit unserer Kritik, die einige gerne unterdrückt hätten.

In der ZDF-Sendung „Menschen bei Maischberger“ haben Sie mal gesagt, „die Ehe drückt eine besondere Zuverlässigkeit aus, man heiratet nicht einfach so“. Ist dieses Band der „besonderen Zuverlässigkeit“ zwischen Konservativen und gläubigen Christen und der CDU nicht schon längst zerrissen?

Lohmann: Dieses Band, wie Sie es nennen, ist im Blick auf die CDU keine Ehe, also kein Sakrament der Unauflöslichkeit. Das mögen manche falsch eingeschätzt haben. Zumindest ist es für die CDU wenige Sekunden vor Zwölf. Deshalb bleibe ich dabei: Wir wollen und brauchen mehr Profilweite und Profilfundament innerhalb der Volkspartei CDU, die längst in der Gefahr steht, sich als Volkspartei zu verabschieden. Konkret: Wir brauchen engagierte Konservative in der Union, Köpfe, die ein konservatives Profil zu zeigen in der Lage sind. Wo sind die eigentlich? Es reicht doch beileibe nicht, wenn jetzt viele brav und pflichtgemäß betonen, die CDU sei konservativ. Wohlfeiles Behaupten reicht da nicht! Es geht um Sein, nicht um Schein! Ist es mutig oder töricht, wenn trotzig nach einer Klausurtagung verkündet wird, wir brauchen als CDU keine Kursänderung? Auch auf der Titanic dachte man nicht an eine Kurskorrektur. Fatal.

In einem Deutschlandfunk-Interview haben Sie das „Kuschen vor Angela Merkel in der Partei“ beklagt. Diese sagte Ihnen schließlich ein Treffen zu. Was ist daraus geworden?

Lohmann: Bis heute habe ich nicht verstanden, warum einige in der Partei offenbar meinten, man dürfe eine demokratisch gewählte Parteichefin nicht kritisieren. Manchmal zeigt sich gerade in der Kritik besondere Loyalität. Eine gewisse Ängstlichkeit haben wir jedenfalls nie verstanden. Darum ging es: um eine unängstliche Streitkultur in unserer Partei. Wie auch immer: Hermann Gröhe, der Generalsekretär, der sich selbst als Nummer zwei der Partei bezeichnet, hat uns vor einiger Zeit lange im Adenauerhaus empfangen. Es war ein gutes, konstruktives Gespräch. Unseren Wunsch, unserer Parteivorsitzenden einmal zu erklären, was wir wollen, haben wir damals wiederholt. Eine entsprechend maßstabsgerechte Reaktion gibt es aber bis heute nicht. Entweder ist Frau Merkel das Thema noch immer nicht so wichtig, oder aber sie findet hierfür einfach keine Zeit. Vielleicht ist das auch eine Botschaft. 

Warum hat Frau Merkel dieses Treffen erst anvisiert und dann doch Abstand genommen?

Lohmann: Das müssen Sie Frau Merkel fragen.

Sie hat die Konservativen immer wieder brüskiert, jüngst mit ihren Ausfällen gegen Thilo Sarrazin. Muß man sich nicht abwenden und eine neue Partei gründen, wenn man so demonstrativ immer wieder den Stuhl vor die Tür gestellt bekommt, wie Konservative und Christen von Frau Merkel?

Lohmann: Genau das ist ja die Gefahr, auf die meine Partei noch immer nicht klug und maßstabsgerecht zu reagieren in der Lage zu sein scheint. Vielleicht könnte man sagen, das System Merkel ist in der Gefahr, am System Merkel zu scheitern. Der Schaden für die Adenauerpartei könnte immens sein. Das wäre mehr als tragisch.  

Könnten die Vernetzung von AEK und BVL nicht den Humus schaffen, aus dem eine neue konservative Partei entstehen kann?

Lohmann: Das vermischen wir nicht! Der BVL ist eine Organisation, in der sich viele evangelische und lutherische, aber auch freikirchliche und nicht zuletzt katholische Persönlichkeiten für das Leben einsetzen. Hier geht es definitiv nicht um Parteipolitik. Eine andere Frage ist, ob und wann sich viele von der Merkel-Union verprellte zu einer neuen christlichen politischen Kraft zusammenschließen. Doch das ist nicht das Thema des BVL.

Auch in diesem Jahr werden wieder manche CDU/CSU-Politiker ein Grußwort an den „Marsch für das Leben“ senden. Warum kommen diese Politiker nicht persönlich?

Lohmann: Fragen Sie sie selbst. Man hört gelegentlich, es sei für viele sicher nicht opportun, klares Profil in Sachen Lebensschutz zu zeigen, das sei karriereschädigend und wahlhemmend. Aber der wahre Grund wird vielleicht die Tatsache sein, daß wir an einem Samstag demonstrieren, wenn also die Abgeordneten zu Hause in ihren Wahlkreisen sind. Wir sind allerdings sehr dankbar für die sehr guten Grußworte. Etwa ein gemeinsames und unglaublich klares Wort des Seniorenunions-Vorsitzenden Otto Wulff und des JU-Vorsitzenden Philipp Mißfelder. Wolfgang Bosbach und Peter Weiß und andere unterstützen uns ausdrücklich. Das alles macht Mut. 

In den letzten Jahren sind die linksradikalen Angriffe gegen den „Marsch für das Leben“ erheblich angewachsen.

Lohmann: Offenbar ist eine notwendige, wahrhaftige und freie Meinungsäußerung für manche in unserem Land bereits eine unerträgliche Provokation, leider. Das kann man nur bedauern und hoffen, daß sich die Gegner des Lebens doch irgendwann der Logik des Lebens öffnen.

Im letzten Jahr hat der BVL immerhin aufgrund der blockadeartigen Proteste die Demonstrationsroute verkürzt. Könnte es den Störern gelingen, den Marsch ganz zu unterbinden?

Lohmann: Nein. Im Gegenteil, wir sind in den vergangenen Jahren immer mehr geworden. Das mag andere ärgern, sie werden uns aber nicht daran hindern, auch künftig für die Unantastbarkeit der Menschenwürde und die Heiligkeit des Lebens zu werben. Denn der Maßstab für die Wahrheit kann nicht die Beliebigkeit sein. Der Maßstab ist die Richtigkeit. Und für Christen ist der Maßstab Gott. Vielleicht sollten wir alle uns mehr darum bemühen, bei ihm wieder beliebter zu werden, also vor allem Gott zu gefallen.

 

Martin Lohmann, ist Vorsitzender des Bundesverbands Lebensrecht (BVL), der am 18. September in Berlin den „Marsch für das Leben“ (www.marsch-fuer-das-leben.de) organisiert. Außerdem gründete der Publizist (www.lohmannmedia.de) nach Merkels Papstkritik 2009 den konservativen Arbeitskreis Engagierter Katholiken in der CDU (AEK) und war Erstunterzeichner der „Aktion Linkstrend stoppen“ (www.linkstrend-stoppen.de), wodurch er für erhebliche Medienaufmerksamkeit sorgte. Geboren 1957 in Bonn, ist der ehemalige Vize-Chefredakteur des Rheinischen Merkur und Chefredakteur der Rhein-Zeitung  heute Leiter des Kölner Bachem Verlags und seit 2007 Kolumnist der Bild. 2009 veröffentlichte er die Streitschrift: „Das Kreuz mit dem C. Wie christlich ist die Union?“ (Verlag Butzon & Bercker).

Kontakt und Informationen: BVL, Fehrbelliner Straße 99, 10119 Berlin, Telefon: 030 / 64 49 40 39, Internet: www.bv-lebensrecht.de

AEK, Lucas-Cranach-Str. 3, 53175 Bonn, Telefon: 0178 / 77 35 777, Internet: www.aek-online.de

Foto: „Marsch für das Leben“ im Zentrum Berlins (2009), mit angeführt von Martin Lohmann (r.): „Unsere Bewegung wird immer größer und wir haben unglaublich viele stille Unterstützer“

 

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