© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/10 17. September 2010

Die CDU fürchtet den Dammbruch
Konservatives Profil: Die Union reagiert verstört und hilflos auf die anhaltende Diskussion über die Chancen einer rechten Parteigründung
Paul Rosen

Das Verhalten prominenter CDU-Politiker gleicht einer Geisterbeschwörung. „In der Union haben alle Strömungen der Partei ihre Heimat, auch die Konservativen“, sagt Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Bei den Beratungen der CDU-Führung sei zu keinem Zeitpunkt der Eindruck entstanden, „daß Teile der Parteiführung der Meinung sind, es bedürfe einer grundlegenden Kurskorrektur, weil es eine programmatische Fehlentwicklung gegeben hat“, quacksalbert CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Und der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier, weiß nicht mehr zu sagen als: „Die CDU ist die große Volkspartei der Mitte.“

Dabei haben die christdemokratischen Phrasendrescher genau gemerkt, daß etwa passiert ist im Land. Ein Damm ist gebrochen. Jahrelang wandten sich immer mehr besonders bürgerliche Wähler von der Politik ab. Das glaubten sie jedenfalls. In Wirklichkeit entfernte sich die politische Klasse aller demokratischen Bundestagsfraktionen vom Volk. Je mehr über die „Bildungsrepublik“, über Integrationsbemühungen und über den perfekten Sozialstaat geredet und Milliardensummen zum Fenster hinausgeworfen wurden, desto weniger war ein allerdings größer werdender Teil der Bürgerschaft in der Lage, der politischen Klasse und ihrer eigenen, seltsam leeren Sprache zu folgen. Wenn etwa Altmeier sagt, „die CDU steht vor allem für eine wertebezogene Politik“, dann weiß kein Mensch, was gemeint sein könnte.

Werte wie Familie meint Altmeier jedenfalls nicht: Die CDU legte den Gesetzentwurf zur Gleichstellung homosexueller Paare mit Ehepaaren auch noch beim Erbrecht bereits vor, als das dazu auffordernde Verfassungsgerichtsurteil noch gar nicht ergangen war. Wenn Gröhe den Respekt vor Ehe und Familie betont, dann ahnt man, daß er damit nur vom blinden Gehorsam gegenüber einem Zeitgeist ablenken will. Das Verhalten der CDU-Führung macht sich bereits in Wählerverlusten bemerkbar, und diese Entwicklung wird sich noch verstärken. „Die rechte Flanke der Partei ist geöffnet“, sagt Klaus-Peter Schöppner von Emnid, der das Potential von frustrierten CDU-Wählern auf etwa 20 Prozent beziffert.

Tatsächlich wird auch in den Büros der Bundestagsabgeordneten eine steigende Wut registriert. Kritische Briefe und Anrufe hat es immer gegeben. Aber was gegenwärtig in Parteibüros vor sich geht, haben selbst altgediente Mitarbeiter noch nicht erlebt. Sie reden von einer Welle des Protests, von einem rechten Tsunami sogar. Solche Wellen gab es schon. In den sechziger Jahren machte sich die NPD vielerorts breit, in den Achtzigern kamen die Republikaner auf recht gute Wahlergebnisse. Diese Wellen wurden abgeschwächt, vor allem weil es mit Alfred Dregger und später Edmund Stoiber immer noch Unionspolitiker gab, die die Fluten kanalisieren konnten. Wenn etwa Richard von Weizsäcker von „erzwungener Wanderschaft“ der Heimatvertriebenen redete und damit Millionen Wähler zu verprellen drohte, hielt Dregger dagegen. Und wenn Helmut Kohl Milliarden nach Europa verschob, forderte Stoiber eine Reduzierung deutscher Zahlungen.

Dieses Gleichgewicht der Kräfte, das der CDU stabile Wahlergebnisse bescherte, gibt es nicht mehr. Der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister phantasiert, wenn er erklärt, „die politischen Konservativen hatten bisher ihre Heimat in der CDU und werden sie auch künftig dort haben“. Diese Konservativen gibt es in der CDU oberhalb der Ortsverbandsebene fast nicht mehr. Bezugnehmend auf die These von Kanzlerin Angela Merkel, die CDU werde getragen von einer christlichen, einer liberalen und einer konservativen Säule, hat die auf eine Wiederwahl in die CDU-Führung verzichtende und enttäuschte Vertriebenen-Präsidentin Erika Steinbach (siehe unten) richtig gesagt: „Wir haben drei Beine – ein Tisch mit drei Beinen.“ Steinbach wollte damit klarmachen, daß das dritte, konservative Bein morsch ist und der ganze Tisch bald umfällt.

Das wäre ein Deutschland ohne CDU und statt dessen mit zwei oder mehr bürgerlichen Nachfolgeparteien, von denen eine ihre Stimmen beim konservativen Publikum suchen würde. Dieses vor einigen Jahren undenkbare Szenario könnte Realität werden, da die CDU-Führung, selbst wenn sie wollte, keine konservative Aushängefigur mehr hervorzaubern kann. Politiker wie Merkel, Gröhe und Altmaier wollen dies auch gar nicht. Konservatives und auch katholisches Denken ist solchen Leuten völlig fremd. Wenn McAllister sagt, es gibt keinen Bedarf für eine Partei rechts der Union“, dann irrt er. Die Frage lautet doch: Ihr Verdienst in allen Ehren: Aber gibt es noch einen Bedarf für die Union?

Foto: CDU-Chefin Angela Merkel am Dienstag im Bundestag: Seltsam leere Sprache

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