© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/10 17. September 2010

Aufstand gegen die politische Klasse
Eine Partei rechts von der Union: Versuche, das politische Vakuum zu füllen, gab es genug, Mißerfolge ebenso. Bewegungen als Alternative
Kurt Zach

Nicht-linke Parteineugründungen haben es schwer in Deutschland. Auf jedem Versuch lastet der Fluch des geschichtspolitischen Generalverdachts. Die Verdrängung des antitotalitären Grundkonsenses der alten Bundesrepublik, der sich sowohl gegen rechte als auch gegen linke Extremismen richtete, durch das „antifaschistische“ Dogma der Kommunisten hat nach der Wende das Terrain noch schwieriger werden lassen. Während sich in den vergangenen drei Jahrzehnten gleich zwei linke Parteien erfolgreich im politischen System der Bundesrepublik Deutschland etablieren konnten – in den Achtzigern die Grünen und im wiedervereinigten Deutschland die kommunistische SED-PDS-Linkspartei –, sind freiheitliche, konservative oder rechte Neugründungen bislang nicht über temporäre Erfolge hinausgekommen.

Die Schimäre einer „vereinigten Rechten“

Nach einem Jahrzehnt CDU-Linksruck unter Angela Merkel scheint das Strauß-Dogma, rechts von der Union dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben, stärker zu wanken als je zuvor. Ob eine Neuformierung auf dem verwaisten rechten Flügel des Parteiensystems, die inzwischen sogar die Mainstream-Spatzen von den Dächern pfeifen wollen, diesmal glückt, wird entscheidend davon abhängen, ob es gelingt, frühere Fehler und Fallstricke zu umgehen.

Keine Rechtspartei ist steiler aufgestiegen und tiefer gefallen als die alte NPD der ausgehenden sechziger Jahre. Binnen weniger Jahre, von 1966 bis 1968, war sie unter dem Eindruck von Rezession, Kulturrevolution und sich abzeichnender „neuer Ostpolitik“ in sieben Landesparlamente eingezogen und verfehlte 1969 mit 4,3 Prozent nur relativ knapp den Sprung in den Bundestag. Zwei Jahre später warf ihr Vorsitzender Adolf von Thadden entnervt das Handtuch, weil die Partei nicht mehr „führbar“ sei. In keinem Landtag gelang der Wiedereinzug, die stärkste Fraktion in Baden-Württemberg warf 1968 freiwillig das Handtuch mit der seltsamen Begründung, eine absolute Mehrheit der CDU und die von ihr erhoffte Ablehnung der Ostverträge im Bundesrat nicht gefährden zu wollen.

Das spektakuläre Scheitern der 1964 als eher bürgerlich-nationalgesinnte Sammelpartei begründeten „alten“ NPD, die durchaus über eine Reihe vorzeigbarer und angesehener Persönlichkeiten verfügte, offenbart bereits die wesentlichen Stolpersteine, die auch späteren Parteigründungen zu schaffen machten: die geballte Ablehnung durch veröffentlichte Meinung und Establishment, voran der die Grenzen der Neutralität im Amt bewußt überschreitende Bundesinnenminister Ernst Benda; die Hilflosigkeit im Umgang mit Ausgrenzung, Diffamierung und unfairen Angriffen bis hin zu geheimdienstlichen Diversionen; die fehlende Verankerung im vorpolitischen Raum und in stabilisierenden Milieus; die von den vorgenannten Faktoren noch geförderte heillose Zerstrittenheit und Disziplinlosigkeit, die anfällig macht für das „Herauskaufen“ von Mandatsträgern und gezieltes Abwerben von Aushängeschildern, erst recht wenn dubioser Umgang mit öffentlichen Geldern und persönliche Bereicherung hinzutreten, die der Wähler einer neuen Protestpartei am allerwenigsten verzeiht.

Ein Jahrzehnt später traten die Republikaner in einer ganz anderen und zunächst erfolgversprechenden Konstellation an. 1983 von zwei enttäuschten CSU-Abgeordneten aus Protest gegen die ausgebliebene „geistig-moralische Wende“ und die weitere Stützung der maroden DDR durch Milliardenkredite gegründet, hatte die neue rechtskonservative Partei anfangs hohe Anziehungskraft auf frustrierte Mitglieder der etablierten Parteien, besonders der Union, und verfügte mit dem ebenfalls hinzugestoßenen populären Fernsehmoderator Franz Schönhuber über eine medial gut vernetzte Führungsfigur.

Der Springer-Boulevard begleitete das Projekt zunächst wohlwollend. Das wirkte sich insbesondere aus, als die Untätigkeit der etablierten Parteien gegenüber Asylmißbrauch und Überfremdung der Partei ein neues großes Thema brachte, das 1989 zum aufsehenerregenden Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus und das Europaparlament führte. Anders als im Fall der alten NPD war der anschließende Mißerfolg bei der Bundestagswahl 1990 nicht das Ende; 1992 schafften die Republikaner den Sprung in den baden-württembergischen Landtag und als erste Rechtspartei vier Jahre später unter ihrem inzwischen auch zum Bundesvorsitzenden aufgestiegenen Fraktionsvorsitzenden Rolf Schlierer auch den Wiedereinzug in ein Landesparlament.

Den langsamen Abstieg der Republikaner bewirkte nicht die Verschärfung des Asylrechts im 1993 beschlossenen „Asylkompromiß“ der großen Bundestagsparteien, der der rechten Konkurrenz den Wind aus den Segeln nehmen sollte und zu ihren größten indirekten Erfolgen zählt, sondern die ab 1992 ebenfalls als Reaktion auf den Stuttgarter Wahlerfolg in allen Ländern und im Bund eingeführte diskriminierende Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden.

Diese Maßnahme zielte weniger auf die Wähler als auf das Personalreservoir: Unter Berufung auf die VS-Beobachtung konnten Beamte, Polizisten und Soldaten, die den Republikanern in großer Zahl zuströmten, mit Disziplinarverfahren abgeschreckt und die Partei damit von qualifizierten Funktionsträgern und Kandidaten und von unerläßlichem Herrschaftswissen aus Verwaltung und Apparaten abgeschnitten und ausgetrocknet werden. Obwohl die Republikaner sich von der diskriminierenden VS-Beobachtung durch beharrliche juristische Gegenwehr inzwischen auf allen Ebenen befreit haben, konnten sie den Zugang zu diesen Ressourcen bislang nicht wieder finden.

Viel Zeit wurde in den neunziger Jahren und im zurückliegenden Jahrzehnt mit der Schimäre einer „vereinigten Rechten“ vergeudet. Die grundgesetzkonform und rechtskonservativ ausgerichteten Republikaner, die 1987 aus dem Abonnentenstamm des Nationalzeitung-Verlags kreierte deutschnational gestimmte Deutsche Volksunion (DVU) und die nach zwei Jahrzehnten des Dahindümpelns im Komma-Prozent-Bereich unter Martin Mußgnug vom jetzigen Vorsitzenden Udo Voigt nationalrevolutionär, „systemfeindlich“, sozialistisch und NS-nostalgisch aufgestellte „neue“ NPD verfolgen zu offensichtlich unvereinbare Konzepte.

Während die DVU als Partei ohne Unterleib trotz temporärer Erfolge nach dem Ausstieg ihres Schöpfers Gerhard Frey und dem Bruch ihrer Mesalliance mit der NPD vor dem Aus steht, kann letztere mit ihrem mehr geschichtsromantischen als lageadäquaten „Drei-Säulen-Konzept“ des „Kampfes“ um Straße, Köpfe und Parlamente offensichtlich nur in einigen mitteldeutschen Regionen und auch dort vor allem mit Sozialprotest punkten, während sie im Westen nur den harten Kern des rechtsextremen Ghettos erreicht, dies allerdings als Marktführer.

„Parteigründungen enden in Deutsch-land fast immer so, daß sich dort sehr schnell die Spinner aller Couleur versammeln“, hat Thilo Sarrazin jüngst seine Absage an eine „Sarrazin-Partei“ begründet, die nach Umfragen immerhin jeder Fünfte wählen würde. Die Erfahrung scheint ihm recht zu geben. Fehlender Zugang zu Verwaltungswissen, egomane Leitfiguren, beschränkte personelle Ressourcen und Mitwirkungsmöglichkeiten, Ausgrenzung, Mobbing, Diffamierung sind weitere Hypotheken, die schnell in die Erfolglosigkeit führen können, die wieder Autoaggression und Streit nach sich zieht und in rascher Abwahl endet.

Die Tea-Party-Bewegung in den USA läßt aufhorchen

Manfred Brunners Euro-Protestpartei Bund freier Bürger hatte zum Beispiel kluge Köpfe, aber keine Basis für die Kärrnerarbeit; Heiner Kappels Versuch, aus den Resten des BfB und der altehrwürdig verdämmerten Deutschen Partei (DP) eine neue Kraft zu schmieden, nahm durch den Zustrom der Gescheiterten aus anderen Parteien ein klägliches Ende. Ronald Schills Partei Rechtsstaatliche Offensive, die 2000 mit Rückenwind der Springer-Presse der CDU den Machtwechsel in Hamburg ermöglichte, zerbrach schon nach einer halben Legislaturperiode als Ein-Mann-Show an der Sprunghaftigkeit und Organisationsunfähigkeit ihres Vorsitzenden. Andere personenfixierte Projekte wie Jan Timkes „Bürger in Wut“ bleiben an ih-ren lokalen Wirkungskreis gebunden.

Als „Bürgerbewegung“ tritt seit einigen Jahren „pro Köln“ und „pro NRW“ an und kann lokal und regional Erfol-ge verbuchen. Das Etikett „Bewegung“ verweist auf das Hauptthema – Kritik an Islamisierung und Moscheebauten –, mit dem der Kölner Rechtsanwalt Markus Beisicht wiederholt Medienaufmerksamkeit erlangte. Der Grad der tatsächlichen Vernetzung mit lokalen Bürgerinitiativen ist freilich unklar. Trotz mehrerer regionaler und überregionaler Ableger handelt es sich bei „Pro“ um eine Partei, die sich wegen der grassierenden Parteienverdrossenheit nur nicht so bezeichnet; das Personal rekrutiert sich zu einem Gutteil aus Enttäuschten früherer Partei­gründungen.

Der Erfolg der Tea- Party-Bewegung in den USA wirft vermehrt die Frage auf, ob eine ähnliche Bürgerbewegung auch in Deutschland denkbar wäre. Entsprechende Appelle wie Arnulf Barings Aufruf „Bürger auf die Barrikaden!“ sind freilich schon früher ungehört verhallt. Die fehlende Achtung der Meinungsfreiheit und der hohe Konformitätsdruck im öffentlichen Diskursbetrieb wirken zweifellos abschreckend. Der Aufstand der Hamburger Bürger gegen das gesamte Polit- und Medien-Establishment zur Verteidigung der Gymnasien kann gleichwohl als ermutigendes Beispiel gelten.

Die US-Tea-Party-Bewegung wirkt auf eine bestehende Partei ein. In den USA sind Parteien weniger ideologisch festgelegt als deutsche, sie haben mehrere lebendige Flügel, und ihre Politiker sind, da es keine Listenwahlen gibt, stärker von der Stimmung ihrer Wähler abhängig als deutsche. Die festgefahrene Merkel-Union durch eine Basisbewegung umzukrempeln, wie es die „Tea Party“ derzeit bei den US-Republikanern bewirkt, muß daher utopisch erscheinen.

Dagegen könnte eine Bürgerbewegung, die den Protest gegen steuerliche Ausplünderung, Überfremdung, staatliche Gängelung und Entmündigung sinnfällig zusammenbringt, durchaus zu einer Vorstufe und zugleich zum unerläßlichen vorpolitischen Umfeld einer neuen politischen Kraft rechts der Union werden. Tritt darüber hinaus die von Michael Wolffsohn vorausgesagte und durch die Causa Steinbach wieder etwas wahrscheinlicher gewordene Spaltung der Union ein, wird das Schwingen der „Faschismuskeule“ gegen eine neue Partei aus dem Fleische einer ehemaligen Volkspartei zum unglaubwürdigen Unterfangen. Sind auch die übrigen Erfolgsbedingungen erfüllt – eine oder mehrere Integrationsfiguren mit Zugkraft, Medienpräsenz und der Zugang zu Fachwissen aus Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft –, könnte die politische Landschaft Deutschlands tatsächlich die überfällige Korrektur und Ergänzung auf dem rechten Flügel erfahren.

 

Stichwort: Parteigründungen

Die Tendenz, eine Partei zu gründen, steigt in Deutschland seit Jahren. Waren es Ende der 1960er Jahre nicht einmal 40, gibt es heute 113 Parteien und politische Vereinigungen, die gemäß § 6 Absatz 3 Parteiengesetz ihre Parteiunterlagen beim Bundeswahlleiter hinterlegt haben (Stand 18. Juni 2010). Nähere Informationen, wie man eine Partei gründet, findet man im Internet unter www.bundeswahlleiter.de oder über die Postanschrift: Der Bundeswahlleiter, Statistisches Bundesamt, 65180 Wiesbaden (Telefon:  0611 75-4863)

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