© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/10 17. September 2010

DVD: Klapperschlange
Zerfall
Werner Olles

New York 1997: Das größte Sicherheitsgefängnis der Welt. Drei Millionen Gangster, Mörder, Sexualverbrecher und Wahnsinnige bevölkern die Stadt. Entlang der Küste von Brooklyn wurde eine 20 Meter hohe Mauer errichtet, die die gesamte Insel Manhattan umgibt. Alle Brücken und Wasserstraßen sind vermint. Rund um die Insel sind starke Polizeieinheiten stationiert. Innerhalb dieses Ghettos herrscht das Faustrecht. Hier gibt es keine Polizei, kein Militär. Wer einmal drin ist, kommt nie wieder raus.

Auf dem Weg zu einer Friedenskonferenz stürzt das Flugzeug des Präsidenten der USA (Donald Pleasence) über Manhattan ab. Als einziger Überlebender hat er eine Tonbandkassette mit entscheidenden Informationen bei sich. Wenn das Gipfeltreffen in 24 Stunden vorüber ist, werden die russischen und chinesischen Delegierten nach Hause gehen, und nichts mehr wird die Menschheit vor einem Atomkrieg retten. Snake Plissken, ein kaltblütiger Krimineller, Ex-Soldat und Einzelkämpfer (Kurt Russell) ist die letzte Hoffnung des Polizeichefs. Innerhalb von 24 Stunden soll er Präsident und Tonband herausholen – die Kassette allein würde auch genügen –, dann ist er, der gerade nach Manhattan verbannt werden sollte, frei. Als kleine Gedächtnisstütze werden ihm zwei Sprengkapseln in die Halsschlagader implantiert, die nach 24 Stunden explodieren.

Snake landet mit einem Segelflugzeug auf dem World Trade Center. Der Weg zur Absturzstelle ist mit brennenden Lagerfeuern, Müll, schrottreifen Autowracks und herumtorkelnden Gestalten gesäumt: vor Hunger wahnsinnig gewordene Menschen, die vor nichts zurückschrecken, zerlumpte Figuren, die in den U-Bahn-Schächten hausen. Cabbie (Ernest Borgnine) rettet Snake vor der wütenden Meute. Er bringt ihn zum Duke (Isaac Hayes), dem ungekrönten Herrscher Manhattans. Der Duke übermittelt der Außenwelt seine Forderungen: Amnestie für alle Gefangenen und der Präsident ist morgen mittag frei. Zu spät für den Weltfrieden. Snake, dem Gefangenen der Gefangenen, gelingt es zu fliehen. Doch er hat nur noch wenig Zeit, den Präsidenten zu finden und damit einen Atomkrieg zu verhindern …

Als John Carpenters „Escape from New York“ 1981 in die Kinos kam, war die Umwandlung des städtischen Raums zum panoptischen Gefängnis und zur Einschließung der nicht-kriminellen Bürger in private Hochsicherheitssphären noch eine Utopie. Drei Jahrzehnte später ist Carpenters apokalyptische Vision in den modernen Krisengebieten von der Wirklichkeit eingeholt worden. In vielen Städten Nord- und Lateinamerikas, in Südafrika, aber zunehmend auch in Europa, überall dort, wo Heterogenes aufeinanderprallt und Mikrokulturen experimenteller Lebensweisen für die einen zum Abenteuer, für die anderen jedoch zur manifesten Bedrohung werden, zerfallen die großen Städte in staats- und rechtsfreie Zonen, in denen auch ohne direkte militärische Auseinandersetzung bereits der Krieg Einzug gehalten hat. Wenn Carpenters Film also überhaupt eine Botschaft hat, dann  die, daß die Kehrseite der versprochenen urbanen Freiheit längst erreicht ist. Snake Plissken wird noch oft gebraucht werden.

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