© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/10 17. September 2010

Frisch gepresst

Verwandlung der Welt. Wenn ein Ziegelstein, wie das Monumentalwerk des Konstanzer Neuzeit-Historikers Jürgen Osterhammel, alle Rezensenten wie auf Knopfdruck zu „großen Gesängen“ auf die darstellerische Kraft und stilistische Eleganz, die analytische Potenz und die virtuose synthetische Verdichtungsleistung, auf die schier unfaßbare Literaturkenntnis des Autors animiert, entsteht leicht der Eindruck, niemand habe sich durch die (ohne Anhang) 1.300  Textseiten des Wälzers wirklich durchgebissen. Wer zwei Dutzend schlaflose Nächte für die Lektüre übrig hat, dem bleibt jedoch nur das Eingeständnis, daß unsere flotten Feuilletonisten diesmal nicht zuviel versprochen haben. Osterhammels universalhistorische „Geschichte des 19. Jahrhunderts“ (Die Verwandlung der Welt. C. H. Beck, München 2010, gebunden, 1.568 Seiten, 49,90 Euro) steht im nationalen Vergleich sowieso, aber auch international konkurrenzlos da. Mit größter Eindringlichkeit, alle Register der Politik-, Wirtschafts-, Bildungs- und Technikgeschichte ziehend, schildert der Autor das wahre Ende des Mittelalters, die Geburt des modernen Menschen, die kopernikanische Umwälzung des Daseins, die um 1800 mit der Industrialisierung anhob und die Ende des 19. Jahrhunderts in die „erste Globalisierung“ mündete. Nur die „Gender-Brille“, wie ein allzu zeitgeistiger Rezensent in der Historischen Zeitschrift bemäkeln durfte, habe Osterhammel sich nicht aufsetzen wollen. Womit ihm unfreiwillig eine weitere nachdrückliche Lektüreempfehlung gelungen ist.

 

Gentechnik. Daß gewisse Technologien kaum beherrschbar sind, beweist nicht zuletzt der in der vergangenen Woche bekanntgewordene Skandal, bei dem noch nicht zugelassene Gen-Kartoffeln in Schweden „versehentlich“ zur Aussaat kamen. Der Chemiekonzern BASF gab „menschliches Versagen“ als Grund dafür an. Genau diese Pannen dürften Wasser auf die argumentativen Mühlen des Grazer Umweltwissenschaftlers Klaus Faißner sein, der in seinem Werk „Wirbelsturm und Flächenbrand“ (Das Ende der Gentechnik. Eigenverlag, Groß-Enzersdorf 2010, broschiert, 160 Seiten, 14 Euro) auf die unkontrollierbaren Folgen landwirtschaftlicher Gentechnik mit ihren direkten Auswirkungen auf unsere Lebensmittel hinweist. Faißner klagt an, daß wegen der durch Umweltfaktoren verursachten „Genverschmutzung“ der gesamten Natur eine – wie so gern von Bio-Patentbesitzern behauptete – selektive und begrenzte Nutzung gar nicht (mehr) möglich ist. Er vermag seine Gentechnik-Kritik dabei gekonnt auf ethische (Wer kann mit welchem Recht überhaupt Patente in der Biologie für sich beanspruchen?) und gesellschaftliche Fragestellungen (Hat das alles eine demokratische Legitimation?) auszuweiten.

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