© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/10 24. September 2010

Schwedische Lektion
Ohne starke demokratische Rechtspartei kein Kurswechsel
Michael Paulwitz

Sieh einer an. Auf einmal möchte SPD-Chef Sigmar Gabriel Integrationsverweigerer abschieben, und selbst die Kanzlerin droht mit strengen Konsequenzen. Beide gemeinsam haben plötzlich das Sicherheitsbedürfnis der Einheimischen entdeckt. Hat Sarrazin etwa schon ein Umdenken bewirkt?

Schön wäre es – bei genauerem Hinsehen wohl zu schön, um wahr zu sein. Gabriels Hauptanliegen ist, „Förderangebote für Migranten“ auszuweiten – die bekanntlich keinem nützen außer links wählenden Sozialarbeitern. Und Angela Merkel garniert mit ihrem verbalen Entgegenkommen an den Unmut im Volk die frohe Botschaft, daß unser Land sich weiter verändern werde, daß noch mehr Moscheen in den Stadtzentren sprießen sollen und daß Integration im übrigen Aufgabe der Einheimischen sei. Alles in Butter, wir sind auf dem richtigen Weg, weiter so.

Das Spiel ist nicht neu, man hat es schon viel zu oft mit uns getrieben. Ende der Neunziger, Fall „Mehmet“ alias Muhlis Ari: „Raus aber schnell“, hatte Schröder eben noch gepoltert, ein jugendlicher Intensivtäter wurde spektakulär abgeschoben, klagte sich wieder rein, flog nach neuerlicher Verurteilung endgültig raus – Tausende andere bleiben. Oder die Münchner U-Bahn-Schläger: Großes Ankündigungskonzert, ein Ministerpräsident baut den Fall sogar in seinen Wahlkampf ein, der geht daneben, Thema durch. Liest man die Sammlungen einschlägiger Aussprüche von CDU-, SPD- und FDP-Größen der letzten Jahrzehnte, es hätte schon seit bald dreißig Jahren „kein Türke mehr über die Grenze“ kommen dürfen (Helmut Schmidt) und die Zahl der Immigranten schon ein paar mal halbiert statt verdoppelt werden müssen (Helmut Kohl).

Das Kalkül hinter dieser erprobten Masche ist einfach: Aussitzen. Sich mit markigen Sprüchen als Macher und Problemlöser in Szene setzen, bis die Aufregung wieder abgeklungen ist, und dann weiterwursteln wie bisher. Darauf setzen, daß die Ankündigungen, die man nie in die Tat umgesetzt hat, schon bald wieder vergessen sind. Es hat ja bislang immer prächtig funktioniert und könnte weiter so laufen – wenn nicht irgendwann doch einmal der Punkt erreicht ist, an dem sich die Probleme nicht mehr wegbeschönigen und die Leute sich nicht mehr für dumm verkaufen lassen.

Deutschland hinkt da dem europäischen Trend gewaltig hinterher. Sogar in Schweden, dem Musterländle aller Sozialisten, Sozialdemokraten und sozialdemokratisierten Pseudo-Konservativen, ist den Wählern jetzt der Kragen geplatzt: Mit den Schwedendemokraten haben sie eine einwanderungskritische Rechtspartei, die in vielen Kommunen längst den politischen Takt angibt, jetzt auch ins nationale Parlament gebracht. Und zwar in einer Stärke und Position, daß die etablierten Parteien schwerlich an ihr vorbeiregieren können.

In anderen nord- und westeuropäischen Staaten ist das längst Realität. In Dänemark sorgt Pia Kjaersgaards Dänische Volkspartei seit Jahren für einen harten Kurs in der Einwanderungs- und Ausländerpolitik. In den Niederlanden beschleunigten erst Pim Fortuyn mit seiner Liste und dann Geert Wilders mit seiner „Freiheitspartei“ den Abschied von multikulturellen Träumereien. Frankreichs Präsident Sarkozy fährt seinen harten Kurs gegenüber illegalen Zigeunerlagern auch deshalb, weil ihm bei schwindender Popularität der „Front National“ im Nacken sitzt. In Italien setzt die Regierungspartei „Lega Nord“ auf die Tagesordnung, was viele denken. Auch in Norwegen, Belgien, Großbritannien, der Schweiz, Ungarn und Österreich setzen freiheitliche, konservative oder rechtsgerichtete Parteien als Volksgewissen das linksliberale Establishment unter Druck.

Das ist demokratische Normalität. Wenn die regierenden Kräfte Probleme und Konflikte zu lange negieren und schönreden, bricht sich der Protest des Souveräns früher oder später in parteipolitischen Formen Bahn. Das ist gut so – denn nur durch drohenden Machtverlust und den Zwang zur Machtteilung läßt sich ein Politikwechsel auf demokratischem Wege herbeiführen. In ganz Europa kann man derzeit studieren, wie das geht. Und es gibt keinen vernünftigen Grund, warum ausgerechnet Deutschland auf Dauer von diesem „politischen Klimawandel“ auf dem Kontinent, den die Welt jetzt besorgt konstatiert, ausgenommen bleiben sollte.

Natürlich ist die Hürde zur erfolgreichen Parteigründung hierzulande höher, wo die politische Klasse sich durch das Bollwerk des „antifaschistischen“ Konsenses und einen perfektionierten Parteienstaat gleich doppelt abgesichert hat, wo die Medien konformistischer und ängstlicher und die Bürger bequemer und vorsichtiger sind als anderswo. Deshalb wohl wartet jeder darauf, daß ein anderer den ersten Schritt wagt.

Der landläufige Pessimismus, neue Parteien änderten ja doch nichts, oder sie würden gleich fertiggemacht, zieht als Ausrede nicht mehr. Geschichte verläuft nicht deterministisch. Lagen ändern sich – das hat schon die SED mit ihrem noch viel perfekteren Einparteienstaat lernen müssen. Wer statt Beruhigungssprüchen eine neue, bessere Politik erzwingen will, kommt nicht daran vorbei, denen, die die alte, falsche gemacht haben, in den Parlamenten Konkurrenz zu machen. Sonst bleibt es wieder beim unverbindlichen Geschwätz.

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