© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/10 24. September 2010

Kolumne
Menschentypisch und unergründlich
Rolf Dressler

Vor allem linksgewickelte Berufsideologen, selbsternannte Menschenfreunde und andere Allesbesserwisser möchten am liebsten auch noch das Abstrafen unliebsamer Gegenspieler vergesellschaften. Den Oberbürgermeister der Stadt Duisburg, Adolf Sauerland, haben sie trotz stärkster Anstrengungen nicht „geschafft“. Denn dieser Mann beweist, was in deutschen Landen durchaus Seltenheitswert hat: Standhaftigkeit. Er stiehlt sich nicht geschmeidig davon, weil er mithelfen will, die tatsächlichen Ursachen der Duisburger Love-Parade-Katastrophe aufzuklären. Und das selbst auf die Gefahr hin, daß dabei auch ihm als Stadtoberhaupt am Ende fehlerhaftes Tun oder folgenschwere Versäumnisse im Amt nachgewiesen werden könnten.

Schon kurz nach der Tragödie hatten Politiker und Presse Adolf Sauerland als den vermeintlich Schuldigen ausgemacht. Sogar Bundespolitiker stimmten flugs in den schrillen Chor derer ein, die ultimativ verlangten, der Duisburger Verwaltungschef müsse „die Verantwortung übernehmen“ und „sofort zurücktreten“. Ein derart aufgeheiztes Klima aber läßt andersgerichteten Überlegungen praktisch keinen Raum. Zum Beipiel: Können solche Mega-Events nicht auch dadurch gänzlich außer Kontrolle geraten, daß bereits einzelne Besucher und erst recht Menschenströme im Gewühl riesengroßer, lärmender und tobender Massen irrational, grob leichtsinnig und rücksichtslos handeln? Natürlich müssen kommunale wie privatwirtschaftliche Veranstalter auch dies – soweit irgend möglich – in ihre Vorsorgeplanungen einbeziehen. Wird das fahrlässig oder ignorant unterlassen, sind die dafür Verantwortlichen gebührend zur Rechenschaft zu ziehen. Leider aber kommt es immer wieder vor, daß Sicherheitsabsperrungen skrupellos durchbrochen oder Sperrzäune niedergerissen werden, obwohl sie doch gerade errichtet wurden, um die Unversehrtheit und das Leben von Menschen zu schützen. Solche schrecklichen Szenen sind auch von der Love Parade in Duisburg in Erinnerung.

Niemand findet Gefallen daran, von anderen in beängstigend dichten Menschenknäueln hierhin und dorthin geschoben und gedrängt zu werden. So gut wie jeder aber, ob jung oder älter, sucht sein Heil darin, sich die Drängler rings um sich herum mit eben derselben Methode irgendwie vom Leibe zu halten. Auch so gesehen ist und bleibt des Menschen Tun und Treiben eben menschentypisch und unergründlich.

 

Rolf Dressler war langjähriger Chefredakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld und ist nun freier Journalist.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen