© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/10 24. September 2010

„Wir haben politische Geschichte geschrieben“
Schweden: Bürgerliche Koalition verliert Mehrheit / Rechte Schwedendemokraten sind erstmals im Reichstag vertreten
Jörg Fischer

Sie wurden beschimpft und bespuckt, mit Eiern beworfen, ihre Wahlstände wurden attackiert, ihre Redner mußte die Polizei schützen. Zeitungen wollten ihre Anzeigen nicht drucken, Wahlspots wurden boykottiert, ihre Internetseite gehackt, von den Reichstagswahldiskussionen waren sie ausgeschlossen. Sogar mit Vuvuzelas wurde lautstark gegen die rechten Schwedendemokraten (SD) mobil gemacht – doch diese Ausgrenzung konnte nicht verhindern, daß die Partei mit 5,7 Prozent (+2,8) erstmals die Vier-Prozent-Hürde überwand und künftig zwanzig SD-Abgeordnete im Stockholmer Reichstag sitzen werden.

„Wir haben heute politische Geschichte geschrieben“, jubelte der 31jährige SD-Chef Per Jimmie Åkesson am Wahlabend in die Fernsehkameras. Und das war nicht übertrieben: Erstmals seit 1991 schaffte es eine rechte Partei in den Reichstag und wird damit zum Zünglein an der Waage. Die bürgerliche Vier-Parteien-Koalition von Fredrik Reinfeldt konnte dank der Zugewinne von dessen konservativen Moderaten zusammen zwar 49,3 Prozent verbuchen – doch das reicht nur für 172 von 349 Reichstagsmandaten, drei fehlen jetzt zur absoluten Regierungsmehrheit. Der rot-grüne Oppositionsblock aus Sozialdemokraten, Grünen und Linken kommt mit 43,7 Prozent zwar lediglich auf 157 Abgeordnete. Doch die neuen zwanzig SD-Abgeordneten erzwingen ein Umdenken.

Mit unverblümter Islam-Kritik zum Erfolg

Reinfeldt umwarb am Montag die Grünen, aber die lehnten die Offerte des Regierungschefs umgehend ab. Doch Reinfeldt kann warten. Seine Abwahl durch eine Zählgemeinschaft aus Rot-Grün und SD ist unvorstellbar, ein Aufbrechen des Bürgerblocks und ein Links-Bündnis unter Einschluß der agrarisch-linksliberalen Zentrumspartei (177 Sitze) ist unrealistisch.

Minderheitskabinette haben dagegen eine lange Tradition in Schweden. Der jetzige Außenminister und damalige Moderaten-Chef Carl Bildt stützte sich von 1991 bis 1994 auf eine bürgerliche Vier-Parteien-Minderheitsregierung, der auch die erstmals ins Parlament gekommenen Christdemokraten angehörten. Die rechtsliberale Protestpartei Neue Demokratie (NyD) von Ian Wachtmeister und Bert Karlsson stützte das Bildt-Kabinett bei allen wichtigen Abstimmungen, obwohl sie im Wahlkampf wegen ihrer einwanderungskritischen Haltung gleichfalls ausgegrenzt worden war.

Doch dieses Regierungsmodell ist diesmal schwer vorstellbar. Einerseits hat sich Reinfeldt mit allzu drastischen Worten von den Schwedendemokraten abgegrenzt. Andererseits unterscheidet die SD einiges von der NyD. Während die 1998 zerfallene NyD beispielsweise wirtschaftsliberale Reformen und einen EU-Beitritt befürwortete, ist im SD-Programm viel vom Erhalt des schwedischen Wohlfahrtsstaates zu lesen. Auch im Zusammenhang mit Euro-Kritik, EU-Skepsis und Kritik an Globalisierung und Kulturimperialismus passen eigentlich eher SD und Linke zusammen. Bezüglich einer Einschränkung der Einwanderung gibt es Parallelen zur wirtschaftsliberalen Volkspartei, in Fragen wie Familie und Homoehe zu den wertkonservativen Christdemokraten.

Mit ihrer unverblümten Islam-Kritik, der offen ausgesprochenen Ablehnung einer multikulturellen Gesellschaft und energischen Forderungen zur Kriminalitätsbekämpfung stehen die Schwedendemokraten hingegen allein im Reichstag. Hinzu kommt, daß der zweite SD-Chef Anders Klarström (1989–1995) kurze Zeit in der Nordischen Reichspartei (NRP) aktiv war, was ihnen bis heute den Neonazi-Vorwurf einbringt. Daß jedoch Klarströms Nachfolger Mikael Jansson (1995–2005) aus der Zentrumspartei kam, wird dagegen ebenso gern unterschlagen wie Åkessons Zeit in der MSU, einer Jugendorganisation von Reinfeldts Moderaten.

Zweistellige Ergebnisse in Trelleborg und Kristianstad

Ob sich die Schwedendemokraten dauerhaft parlamentarisch etablieren können, hängt auch von ihrem Erfolg in den Kommunen und Landtagen ab. In den südschwedischen Regionen Schonen (Skåne) und Blekinge sowie in den Ballungszentren Malmö und Helsingborg sind SD-Abgeordnete schon seit mehreren Wahlperioden vertreten. In Trelleborg, Sjöbo oder Kristianstad gab es diesmal zweistellige Ergebnisse. In Stockholm schafften die Schwedendemokraten dagegen nur 3,2 Prozent.

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