© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/10 24. September 2010

Keine Neuauflage der Debatte
Beneš-Dekrete: Tschechiens Außenminister Schwarzenberg dementiert „Kontraste“-Äußerungen
Peter Wassertheurer

Die Meldung „Schwarzenberg hält Aufhebung der Beneš-Dekrete für möglich“ sorgte für Aufsehen. Doch schnell ließ der tschechische Außenminister verlauten, in „keiner Weise“ davon gesprochen zu haben, daß die Frage der Beneš-Dekrete „offen“ sei. Karl Schwarzenberg wies lediglich auf die „sehr intensive und offene“ Diskussion hin, die es in Tschechien zu den Sudetendeutschen gibt. Die Beneš-Dekrete seien, so Schwarzenberg, Teil der damit „verbundenen Ereignisse“. Freilich kann dieser „vollkommen natürliche und wünschbare Aufarbeitungsprozeß“ am Fortbestand der Dekrete „nichts ändern“.

Anlaß war ein Interview im ARD-Magazin „Kontraste“, in dem Schwarzenberg angeblich die Möglichkeit einer Abschaffung der Beneš-Dekrete angesprochen hatte. Schwarzenbergs Dementi kam prompt. Daß Prag die Beneš-Dekrete als ad acta gelegt wertet, machte schon Premier Petr Nečas im Vorfeld seiner Deutschlandvisite klar: „Sollte es dabei nur um die Beneš-Dekrete gehen, dann würde ich keinen Sinn in einem solchen Besuch sehen.“ Angela Merkel verstand diese Botschaft und hielt den Mund.

Weder Prag noch Berlin wollen eine Neuauflage der Beneš-Debatte. Schwarzenberg jedenfalls weiß um die Stimmung in seinem Land. Ein Abweichen von der offiziellen Linie würde den populären Politiker aufs Altenteil befördern. Was immer Schwarzenberg gegenüber der ARD sagte, steht jedenfalls im krassen Gegensatz zu dem, was er im Juli 2010 in Wien gesagt hatte. Damals meinte er zum österreichischen Außenminister Michael Spindelegger: „Ich habe nie bezweifelt, daß das, was nach dem Zweiten Weltkrieg passiert ist, Unrecht war – so wie auch das, was zwischen 1938 und 1945 passiert ist, Unrecht war“, weshalb eine Aufhebung der Beneš-Dekrete „einfach nicht realistisch“ sei. Was also gilt? Die „Kontraste“-Redaktion hält an ihrer Version fest. Schwarzenberg hingegen sieht die Sache als erledigt an, nachdem die Redaktion „ihr Versehen“ eingestanden hatte.

Kernstück des Interviews war das unlängst in Dobronín/Bergersdorf nördlich von Jihlava/Iglau gefundene Massengrab. Dabei fällt auf, daß die Beneš-Dekrete für die gewaltsamen Ausschreitungen direkt verantwortlich gemacht wurden. Doch wurden wirklich die Vertreibungsdekrete angesprochen oder war das Straffreistellungsgesetz Nr. 115 vom 8. Mai 1946 gemeint?

Womöglich lag hier eine Verwechslung vor? Dieses Gesetz, das bis heute die Verbrechen von 1946 rechtlich deckt, macht es unmöglich, die Gewalttäter zur Verantwortung zu ziehen. Es erklärt alle zwischen 30. September 1938 und 28. Oktober 1945 begangenen Handlungen auch dann für nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wären. Das bezog sich auf alle Vergehen, die im Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken verübt wurden. In Wirklichkeit handelte es sich 1945 um einen Rachefeldzug gegen die Sudetendeutschen, der einen Völkermord einleitete. Und dieses Gesetz gilt bis heute und schützt, wie im Fall von Bergersdorf, die Verantwortlichen vor einem Zugriff der Justiz. Die Aufhebung des Straffreistellungsgesetzes stand in Prag bereits vor Jahren zur Diskussion. Geschehen ist bis dato nichts.

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