© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/10 24. September 2010

Verschlungene Wege
Jubiläumsausstellung: Die Kunstsammlung Dresden besteht seit 450 Jahren
Sebastian Hennig

Die letzte Ausstellung im Nachkriegsambiente unverputzter Räume im Dresdner Residenzschloß beschäftigt sich mit den Ursprüngen und dem Verlauf eines der ältesten Kunstmuseen Deutschlands. Um die Herkunft der Sammlung zu veranschaulichen wurden bedeutende Einzelstücke der Abteilungen, gemeinsam mit Leihgaben, zu einem funkelnden Sammelsurium wiedervereinigt. Der verschlungene Weg, den Kunstwerke nehmen können wird offenbar. Die Jahreszeiten-Bilder des Giuseppe Arcimboldo, ein Geschenk Kaiser Maximilians an den Kurfürsten August, wurden nach der Auflösung der Kunstkammer im 19. Jahrhundert versteigert. Heute schmücken die aus Naturalien gefügten allegorischen Gesichter die Sammlung des Pariser Louvre. Dem Kragen des „Winters“ sind die sächsischen Kurschwerter eingewirkt.

Friedrich Wilhelm I. von Preußen schenkte August dem Starken die antike Büste des Kriegsgottes Ares als eines behelmten Jünglings mit Schwertband über der Brust: Gut dreißig Jahre vor dem Siebenjährigen Krieg ein sprechendes Geschenk. Eine Irrfahrt unternahm der heitere Blumenkorb des Emaillier- und Goldschmiedekünstlers Johann Melchior Dinglinger. Er gehörte zu den Stücken wettinischen Privatbesitzes, die Anfang 1945 auf einer Waldlichtung vergraben wurden. Fünfzig Jahre später wurde der Hort von einem jungen Schatzsucher aufgestöbert. Nach der Versteigerung in London stellt der neue Eigentümer das Kleinod dem Museum in Dinglingers Geburtsstadt Biberach zur Verfügung.

Das flächenmäßig umfangreichste Ausstellungsstück ist ein Karton des Julius Schnorr von Carolsfeld mit „Brunhildens Ankunft in Worms“. Diese eindrucksvolle Vorarbeit für die Nibelungen-Fresken der Münchener Residenz war 1844 die erste Anschaffung der Lindenau-Stiftung. Im Jahr zuvor wurde der sächsische Staatsminister Bernhard von Lindenau zur Aufgabe seines Amtes gedrängt. Die Pension verwendete er unter anderem dafür, „eine nationale Sammlung moderner Werke“ an der Gemäldegalerie zu bewirken. 1854 erlosch mit seinem Tod diese Stiftung vorerst folgenlos.

Aber die acht Neuerwerbungen, darunter auch Ludwig Richters „Brautzug im Frühling“ bildeten den Grundstock der zeitgenössischen Sammlung in der 1855 eröffneten Sempergalerie. Selbst an den bedeutendsten der Maler, die damals in Dresden lebten, Caspar David Friedrich, wurde kein Taler Ankaufsgeld vergeben. Der beachtliche Bestand an Friedrichs Gemälden wurde erst in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts angelegt.

Hans Posse war der Mann, der gleichermaßen die zeitgenössische Kunst förderte und die alte Sammlung um Glanzstücke bereicherte. Er wurde 1938 durch eine Intrige in den vorzeitigen Ruhestand gedrängt. Hitler besuchte kurze Zeit später die Galerie und äußerte den Wunsch, Posse zu sprechen, der von einem Museumsmitarbeiter telefonisch herbeigerufen wurde. Noch am gleichen Tag wurde in Berlin der „Führervorbehalt“ erlassen und Posse mit der Zusammenstellung der Kunstsammlung für das „Führermuseum“ in Linz beauftragt. Zugleich wurde er wieder ins Amt eingesetzt.

Sieben der ausgestellten Gemälde stehen vermutlich im Zusammenhang mit dem Sonderauftrag Linz. Mit großem Aufwand bemüht sich die Provenienzforschung um Feststellung der Voreigentümer dieser Depositen. Die Gnade eines rechtzeitigen Todes bescherte Posse 1942 ein Staatsbegräbnis, zu dem der Propagandaminister im Marmorsaal des Zwingers die Festrede hielt.

So wie Posse vergeblich versuchte, in die NSDAP aufgenommen zu werden, trat Wolfgang Balzer, der vormalige Direktor des Kunstgewerbemuseums 1945 in die KPD ein. Eine alte Geschichte, die sich wiederholt: Schon der Philosoph Aristipp, als er sich zu Füßen des Tyrannen geworfen hatte, antwortete auf die Vorwürfe der anderen Philosophen, es sei schließlich nicht seine Schuld, wenn Dionysios die Ohren an den Füßen habe.

Balzer wurde nach zermürbenden Auseinandersetzungen mit der stalinistischen Kulturpolitik, darunter eine Inhaftierung aus unhaltbaren Anschuldigungen, bald in den Ruhestand abgedrängt. In den fünf Jahren seiner Wirksamkeit erreichte der kultivierte Mann eine sinnvolle Ordnung der Sammlungsbestände, die bis in die achtziger Jahre verbindlich blieb. Auch bewirkte er im Zusammenhang mit der sogenannten „Schloßbergung“ einen verantwortlichen Umgang mit den Kulturgütern.

Damit blieben schließlich auch die Eigentumsverhältnisse für die spätere Restitution nachvollziehbar. Nachdem schon am 13. Februar 1945 bei einem Transport auf einem Lastkraftwagen 158 Bilder verbrannten, wurden ab Mai die Sammlungen so gnadenlos ausgeräubert, daß den „sowjetischen Freunden“ zur Gesichtswahrung schließlich nur noch eine großartig inszenierte Rückgabe 1956 übrigblieb. Das Kapitel „Kunst der DDR. Zwischen Anpassung und Selbstbehauptung“ markiert einmal mehr die Extreme von Dissidenten-Boheme und Staatskünstlern; das eigentlich Entscheidende liegt dazwischen und bleibt vorerst weiter unsichtbar.

Drei Bände im Schuber umfassen neben dem eigentlichen Ausstellungskatalog eine Chronik und eine Anthologie mit Texten, in denen spätestens seit der Zeit der Romantik die Dresdner Gemäldegalerie als eine mythische Kunstlandschaft ausstrahlt.

Die Ausstellung „Zukunft seit 1560“ ist bis 7. November im Residenzschloß Dresden, Sophienstraße, täglich außer dienstags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der dreibändige Katalog (Die Ausstellung, 302 Seiten; Die Chronik, 232 Seiten; Die Anthologie, 286 Seiten) ist im Deutschen Kunstverlag, Berlin/München 2010, erschienen und kostet 58 Euro.

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