© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/10 24. September 2010

Von Germanien an den Hindukusch
Guntram Schulze-Wegener porträtiert die deutsche Militärgeschichte von ihren Anfängen bis heute
Andreas Graudin

Guntram Schulze-Wegener ist Chefredakteur der im Pabel-Moewig Verlag erscheinenden renommierten Zeitschrift Militär & Geschichte. Sammler und regelmäßige Leser seines kurzweiligen und preiswerten Magazins dürften allein schon durch diese Lektüre über einen vorzüglichen Gesamtüberblick der deutschen Militärgeschichte verfügen. Allen anderen sei dafür sein neuestes reich illustriertes Buch empfohlen.

Von den Germanen und Römern bis zur Bundeswehr als Einsatzarmee spannt sich der Bogen des Buches des dekorierten Fregattenkapitäns der Reserve. Es geht ihm um den Gesamtüberblick, nicht um eine militärische Enzyklopädie, von denen es schon einige gibt, ohne Breitenwirkung zu erzielen. Das Kartenmaterial ist neu aufbereitet und ein Großteil der oft eindringlichen Fotos dürfte hier erstmals veröffentlicht sein. Vor 1914 dominieren naturgemäß die Gemälde, Zeichnungen, Holzschnitte und Karikaturen. Alles sehens- und besitzenswerte Raritäten, die im Kontext ihrer Zeit zu bewerten sind.

Der erste Satz des Buches lautet: „Der Krieg ist ein zentraler Bestandteil der Menschheitsgeschichte, möglicherweise ist er die Menschheitsgeschichte selbst.“ Schulze-Wegener setzt sich bereits damit programmatisch von zeitgeistigen Geschichtsrichtern ab, denn die Geschichte „vom Krieg her zu denken“ ist den Geschichtspäpsten in den deutschen Universitäten nach wie vor ein Greuel.

Zu den „Schlachtfeldern“ europäischer Geschichtsforschung und -interpretation nimmt der Autor so kurz wie zutreffend Stellung. Auf weniger als zwei Seiten gelingt ihm die Darstellung der zwei komplexen Wochen im Sommer 1914 mit den Abfolgen von Ultimaten, Mobilmachungen und Kriegserklärungen. Er verwirft zu Recht einmal mehr die von Fritz Fischer in den sechziger Jahren vertretene Theorie vom militaristischen, kriegslüsternen und waffenstarrenden Deutschen Reich, das 1914 auf Raub aus war, zugunsten einer späteren, von Andreas Hillgruber ohne Verbiegung vertretenen realistischen Sicht einer allseitigen „Konzeption des kalkulierten Risikos“ für den Ersten Weltkrieg als der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Schulze-Wegener tritt ebenso einer modischen Verniedlichung des „Versailler Vertrages“ entgegen und sieht in ihm zutreffend den Keim des Extremismus der darauffolgenden Jahrzehnte. Die Deklassierung Deutschlands illustriert er mit einem Bild von Panzerattrappen aus Sperrholz und Leinwand. Eine positive Seite, nämlich die gründliche Schulung einer ganzen deutschen Pilotengeneration an Segelflugzeugen, machte den technologischen Rückstand jener Jahre nur teilweise wett.

Die polnische Mobilmachung am 12. März 1939 erwähnt Schulze-Wegener nicht. 25 Jahre zuvor wäre eine solche tiefgreifende Maßnahme in Europa immer als Kriegserklärung verstanden worden. Der Beginn des Zweiten Weltkrieges wird stattdessen klassischerweise auf den 1. September 1939 datiert. Von einem „Überfall auf Polen“, wie der allgemein verbreitete Terminuns, könne wegen der offenkundigen polnischen Kriegsbereitschaft wohl kaum eine Rede sein.

Eine abgewogene Position nimmt Schulze-Wegener zum Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges 1941 ein. Danach wird das „Unternehmen Barbarossa“ nicht als Präventivschlag bewertet, weil der gleichzeitige sowjetische Aufmarsch unerkannt und unvollständig gewesen sei. Die sowjetische, zeitlich etwas verschobene Aggressionsabsicht Stalins gegen ganz Europa nach einem erwarteten deutsch-britischen Zermürbungskrieg behält auch ohne die „Präventivschlagsthese“ große Plausibilität. Der Hinweis und die Illustration der Begeisterung von ganz offensichtlich vom kommunistischen Joch befreiten Sowjetbürgern in der ersten Phase des Rußlandfeldzuges steht neben den tragischen Verstrickungen der Wehrmacht an der Ostfront in der Folgezeit: verhungerte russische Kriegsgefangene und eine sich steigernde Brutalität des Partisanenkampfes. Auf der anderen Seite weist Schulze-Wegener auf die alliierte Kriegsgefangenenpolitik als ein noch weitgehend unerschlossenes Forschungsfeld hin. Hier werden Historiker und Völkerrechtler auf schockierende Fakten in den frei zugänglichen Archiven stoßen.

Auch Nationale Volksarmee (NVA) und Bundeswehr werden abgehandelt. Die NVA gilt dem Autor als unreformierbare Parteiarmee an der sehr kurzen sowjetischen Leine. Das war sie im wesentlichen und doch vermißt man den Hinweis auf den unbefangeneren Rekurs auf die preußisch-deutsche Militärtradition. Dem Stechschritt, der Wachtparade und der Uniform der NVA steht allerdings das modifizierte Eiserne Kreuz als „Markenzeichen“ für Panzer und Flugzeuge der Bundeswehr entgegen. Die zu Beginn viel gescholtene „Innere Führung“ und die akademische Ausbildung der Offiziere an eigenen Universitäten der Bundeswehr erfüllten erstmals die Forderungen Scharnhorsts und anderer preußischer Reformer an eine Armee des Volkes. Insofern stand auch bei der Bundeswehr ideell Preußen und nicht der Rheinbund Pate. Diese modifizierte Tradition wird nach Ansicht des Autors mit der Stiftung des Ehrenkreuzes der Bundeswehr positiv fortgeführt.

Guntram Schulze-Wegener: Illustrierte deutsche Kriegsgeschichte – Von den Anfängen bis heute. Ares Verlag, Graz 2010, gebunden, 345 Seiten, Abbildungen, 39,90 Euro

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