© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/10 24. September 2010

Frisch gepresst

Großer Terror. Mit dem Befehl No. 00447 wird außer einigen Fachhistorikern kaum jemand etwas anzufangen wissen. Dabei stellt dieses 15seitige Dokument vom 30. Juli 1937, unterzeichnet vom sowjetischen Volkskommissar für Innere Angelegenheiten Nikolai Jesow, den Beginn eines der „größten bürokratisch organisierten Verbrechen des 20. Jahrhunderts“ dar, wie die Historiker Rolf Binner, Bernd Bonwetsch und Marc Junge in dem von ihnen herausgegebenen Werk erklären (Stalinismus in der sowjetischen Provinz 1937–1938. Die Massenaktion aufgrund des operativen Befehls No. 00447. Akademie Verlag, Berlin 2010, gebunden, 731 Seiten, 39,80 Euro). Nach heutigem Kenntnisstand wurden mindestens 800.000 Sowjetbürger gemäß dieses Befehls „gegen Kulaken, Kriminelle und andere antisowjetische Elemente“ verurteilt, was zu mindestens acht Jahren Haft im berüchtigten Gulag-System führte, oft lebenslängliche Haft oder auch das direkte Todesurteil bedeutete. Nach einer mehrjährigen Forschungsarbeit unter den Bochumer Osteuropahistorikern Binner und Junge und ihrem Kollegen Bonwetsch vom Deutschen Historischen Institut in Moskau hat die vielköpfige internationale Wissenschaftlergruppe nun ihre Ergebnisse zusammengetragen. Nach den ersten stalinistischen „Säuberungen“, die sich primär gegen die innerparteilichen Eliten oder namhafte bolschewistische „alte Kämpfer“ richteten und über die Grenzen der Sowjetunion hinaus Beachtung fanden, bewirkte der Befehl No. 00447, daß der „Große Terror“ für weite Teile der Bevölkerung mehrere Jahre den gesellschaftlichen Alltag bestimmte.

Vandalismus. Die unter der hehren Parole von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ angetretenen französischen Revolutionäre von 1789 steuerten seit 1791 auf ein blutiges Terrorregime zu. Zu dessen bis heute wenig bekannten „Kollateralschäden“ zählt eine bis dahin beispiellose, bolschewistische Verheerungen antizipierende Vernichtung von Kunst- und Kulturgütern in ganz Frankreich. Um die „neue Ordnung der Dinge“ zu etablieren, verwandelten die revolutionären Vandalen viele Städte und Landschaften in kulturelle Wüsteneien, mit ausgeplünderten Kirchen und Schlössern, verbrannten Bibliotheken, zerstörten Galerien und Kunstkammern. Christine Tauber dokumentiert die „Erfolge“ jakobinischer „Kulturpolitik“ anhand von drei Berichten, die der Bischof von Blois, Henri Grégoire, im Herbst 1794 dem Nationalkonvent erstattete und die eine „umfassende Bestandsaufnahme der Ausschreitungen in Paris und in der Provinz“ liefern (Bilderstürme der Französischen Revolution. Die Vandalismus-Berichte des Abbé Grégoire. Rombach Verlag, Freiburg/Berlin/Wien 2010, gebunden, 283 Seiten, Abbildungen, 29,80 Euro).

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