© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/10 01. Oktober 2010

Vorboten einer Tendenzwende
Konservative Renaissance: Wie sich jenseits der Strukturen von etablierten Parteien und Medien eine Gegenöffentlichkeit formiert
Ansgar Lange

Werner Münch, früherer Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, hat die CDU bereits aufgegeben. „Ein politisches Erwachen und Umsteuern wird wahrscheinlich, wenn überhaupt, nur noch durch eine starke und überzeugende Parteigründung, die frühere Werte und Ziele der Union in ihr Programm schreibt und ernst nimmt, erfolgen können. Aber dann ist es für die Union und ihre jetzige Führung zu spät“, schreibt Münch in einem Beitrag für das christliche Magazin Komma. Er konzediert zwar, daß es mit der Gründung eines Arbeitskreises Engagierter Katholiken (AEK) in der CDU, der Etablierung eines Gesprächskreises „Christ-Sozialer Katholiken“ (CSK) in der CSU sowie dem „Manifest gegen den Linkstrend“ in der CDU einige Versuche gegeben habe, von innen Druck aufzubauen. Doch alle diese gut gemeinten Initiativen haben seiner Meinung nach ebensowenig Erfolgschancen wie zuvor die Christdemokraten für das Leben (CDL) oder der Evangelische Arbeitskreis (EAK) in der Union.

Ist die Lage wirklich so trostlos? Es mag ja sein, daß mit der CDU in Zukunft für Konservative kein Staat mehr zu machen sein wird. Jedoch läßt sich nicht verleugnen, daß im christlich-konservativen, libertären, wirtschaftsliberalen, nationalkonservativen oder auch rechten Meinungsspektrum interessante Entwicklungen zu verzeichnen sind. Daß es eine ernstzunehmende Publizistik dieses Zuschnitts gibt, steht außer Frage. „Das Segment wächst insgesamt kontinuierlich, und einige Medien wachsen sogar besonders stark. Und das, während der linke Gegenkurs etwa mit dem Rheinischen Merkur bereits zusammengebrochen ist oder wie Cicero nach dessen Linkswende diesen Zusammenbruch in geschätzten zwei Jahren noch vor sich hat“, bestätigt André F. Lichtschlag, Gründer und Herausgeber der Zeitschrift eigentümlich frei sowie des gleichnamigen Online-Dienstes und Verleger (ef und Lichtschlag Buchverlag).

Wie versteht das frühere Mitglied der Jungen Union und FDP sein jetziges Engagement? „Wir erklären unseren Lesern jeden Monat, daß ‘Wert’ nicht zufällig zweierlei Bedeutung hat. Werte schaffen – moralisch und ökonomisch –, das bedingt sich gegenseitig. Viele neue konservative und christliche Leser führen wir gezielt zum Verständnis auch für die ökonomischen Zusammenhänge. Und vielen unserer liberalen und libertären Stammleser zeigen wir, daß etwa der Wert von Traditionen und Familie ein Basiswert ist, ohne den am Ende jede Ökonomie zusammenbricht. Letzteres haben aber im übrigen die großen erzliberalen Denker wie Hayek, Mises oder Hoppe stets außerordentlich betont“, sagt Lichtschlag.

„Ein kleiner bunter Fleck“

An dieser Beschreibung fällt auf, daß es dieser eigentlich heterogenen Szene, die aus Christlich-Konservativen, Libertären und auch Rechten besteht, nicht um die Betonung des Trennenden geht, sondern um das gemeinsame Herstellen von „Gegenöffentlichkeit“. „Mittlerweile gibt es ein ganz gut funktionierendes Netzwerk. Mit anderen Medien, die eine ähnliche Stoßrichtung verfolgen, arbeite ich sehr kollegial zusammen“, bestätigt Michael Ludwig, der die Zeitschrift Gegengift verlegt. Früher eine reine Kulturzeitschrift widmet sich das ohne optischen Pomp daherkommende Blatt, das sich auf die Tradition der linken Weltbühne beruft, inzwischen vor allem politischen Themen. Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, daß es bei dem Autorenstamm der JUNGEN FREIHEIT von Gegengift oder eigentümlich frei zu Überschneidungen kommt. Ludwig, ein gemütlicher Bajuware mit spitzer Feder, sieht seine Zeitschrift als einen „kleinen bunten Flecken“ auf der konservativen Medienlandkarte und als ein Korrektiv zum Drall nach links. Auch mit der Blauen Narzisse, einem Online-Magazin für Schüler und Studenten, sowie dem dezidiert pro-amerikanischen und pro-israelischen Blog „Politically Incorrect“ gibt es einen Austausch zum Beispiel in Form von Artikeln.

Könnte in Deutschland also etwas wie die amerikanische Tea-Party-Bewegung Platz greifen? „Ich muß Sie enttäuschen, auch wenn es erste Anzeichen dafür gibt, daß das Volk vieles nicht mehr mittragen will, was ihm die Politik diktiert“, sagt Michael Müller, Chefredakteur von Komma, das im Untertitel als „Das Magazin für Freiheit und christliche Kultur“ firmiert. Von einer Tea-Party seien wir weit entfernt, weil wir dafür einfach viel zu träge seien. Müller weiter: „Da muß noch einiges mehr passieren. Mit Hilfe der Publizistik? Da müßten, und das meine ich durchaus ernsthaft, schon die Bild-Zeitung oder andere Massenblätter mitmachen. Alle anderen sind zu schwach, und Kooperationen gibt es nicht. Es war erfrischend zu sehen, wie die meisten Politiker ihre Fähnchen neu im Wind justierten, als sie auch dank der Bild-Umfrage merkten, daß bis zu 89 Prozent der Deutschen hinter Thilo Sarrazin stehen.“

Lichtschlag äußert sich ein wenig optimistischer: „Die amerikanische Tea Party besteht aus den drei Elementen marktliberal, konservativ und christlich. Die erfolgreichen deutschen publizistischen Initiativen vereinen heute jeweils auch alle drei Strömungen in sich, jeweils natürlich mit besonderem Schwerpunkt, mit eigener Geschichte und Identität. Viele publizistische Blumen blühen in diesem Spektrum und sie blühen immer prächtiger. Nicht von ungefähr entstand und wuchs die Zeitschrift Konkret vor der Studentenbewegung, und die Tageszeitung taz wurde vor der Partei Die Grünen gegründet. Verschiedene publizistische Initiativen zeigen auch heute an, wohin sich der Zeitgeist dreht. Am Ende wird dieser auch auf andere Institutionen wie Parteien einwirken.“

Kampf gegen die Krake Staat

Müllers Magazin Komma besetzt Themen wie Islamisierung, Linksruck, ideologischer Kampf gegen Kirche, Papst und Familie, Gender-Mainstreaming, Abtreibung und Euthanasie etc. Die in Aachen ansässige Redaktion will Flagge zeigen, kämpfen und Widerstand leisten. Auf der Internetseite erscheinen Anzeigen der Sezession, des Instituts für Staatspolitik (siehe Seite 21) oder von eigentümlich frei. Komma erscheint im „MM Verlag“, der wiederum Bücher konservativ-christlicher Autoren wie Erik von Kuehnelt-Leddihn, Christa Meves oder Wolfgang Ockenfels verlegt.  Müller hält Abstraktionen wie links, rechts oder gar Fundamentalist für peinlich: „Ich fühle mich weder rechts noch links, in manchen Fragen denke ich progressiv, in anderen konservativ.  Die beiden wichtigsten Anliegen unseres Monatsmagazins sind die Freiheit, die uns die Krake Staat immer mehr beschneidet, und die christliche Alltagskultur: Was heißt es konkret für das Leben in der Gesellschaft, in der Familie, bei der Arbeit, Christ zu sein?“ Dabei ist Komma alles andere als eine Kirchenzeitung. Sie will vielmehr eine Illustrierte sein, die auch Ressorts wie Gesellschaft, Politik, Familie und Medien bedient.

Götz Kubitschek, Chefredakteur der Sezession, ist die sogenannte Mitte „herzlich egal“. Die konservative oder rechte Publizistik habe sich in den letzten Jahren zum einen wirtschaftlich stabilisiert, zum anderen aber auch Federn mit einem unverwechselbaren Profil hervorgebracht und drittens Fühlung zu einer wie auch immer zu definierenden Mitte aufgenommen. „Ob diese Nähe ihrem Ton und ihrer Kontur guttut, ist eine andere Frage“, gibt Kubitschek – neben Felix Menzel von der Blauen Narzisse einer der Agitatoren der „Konservativ-Subversiven Aktion“ – zu bedenken.

Bewegungen wie die Tea-Party-Bewegung würden stets publizistisch vorbereitet. „Eines jedoch kann die im engeren Sinn konservative, rechte Publizistik nicht: Sie ist zu schwach, um eine Bewegung loszutreten oder großzuschreiben. Das können nur große Organe. Entscheidend ist also, daß dort die Vorarbeit des konservativen Milieus wahr- und ernstgenommen wird“, so der Publizist und Verleger (Edition Antaios) gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.

Während der katholische Rheinische Merkur nach Aussage des Dominikanerpaters Wolfgang Ockenfels an seiner „eigenen Langeweile“ zugrundegegangen ist“ (siehe Seite 22), erfreuen sich Presseorgane wie das christliche Medienmagazin Pro sowie die Evangelische Nachrichtenagentur idea mit Sitz in Wetzlar einer festen Stammleserschaft, weil sie nicht den Weg der Anpassung, sondern den Weg der christlich-konservativen Grundsatztreue gehen.

Die Wochenzeitschrift idea Spektrum brachte es im ersten Quartal auf eine Druckauflage von 34.000 Exemplaren, von denen 18.000 an Abonnenten verkauft wurden. Die Redaktion spricht von einer wöchentlichen Reichweite von rund 100.000 Lesern. Helmut Matthies, der Leiter der evangelikalen Nachrichtenagentur, hatte Anfang dieses Jahres Standfestigkeit bewiesen, als er es ablehnte, den ihm am

5. Dezember 2009 von der Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung (FKBF) in Kooperation mit der JF verliehenen Gerhard-Löwenthal-Ehrenpreis zurückzugeben.

Die im Jahr 2000 gegründete gemeinnützige Stiftung FKBF treibt neben der Vergabe des Löwen­thal-Preises derzeit den Aufbau der Bibliothek des Konservatismus in der Hauptstadt voran. Ab 2011 sollen mehrere zehntausend Bände zur Geschichte dieser Geistesströmung in zentraler Berliner Lage interessierten Wissenschaftlern und Studenten zur Verfügung stehen. Die Bauarbeiten sind in vollem Gange. Den Grundstock der einzigartigen Einrichtung bilden die Bibliotheken des FKBF-Gründers Caspar Freiherr von Schrenck-Notzing und des Philosophen Günter Rohrmoser.

Bei den Denkfabriken besteht Nachholbedarf

Selbst viele weichgespülte „konservative“ Politiker fassen das 1979 auf Initiative des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger gegründete Studienzentrum Weikersheim mit spitzen Fingern an. Nach Intention seiner Gründer entstand das Studienzentrum als Antwort auf die sogenannte „Kulturrevolution“ der sechziger Jahren. Das seit 2008 von dem Unternehmens- und Personalberater Bernhard von Diemer geleitete Studienzentrum versteht sich als christlich-konservative Denkfabrik „der großen bürgerlichen Mitte“. Von der staatlich alimentierten CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stifung sind hier in den vergangenen Jahren kaum Initiativen ausgegangen, weil sich die parteinahen Stiftungen vorzugsweise als Versorgungsanstalten „verdienter“ Parteipolitiker verstehen und keine eigene geistige Unabhängigkeit an den Tag legen.

Während Deutschland mittlerweile eine kräftige konservative Publizistik aufzuweisen hat, besteht, auch im Vergleich zum Beispiel zu den Vereinigten Staaten, auf seiten der Denkfabriken noch ein gewisser Nachholbedarf. Dies ist aber nicht zuletzt eine finanzielle Frage und hängt von der Spendenbereitschaft derjenigen ab, die sich eine andere politische Großwetterlage in unserem Land wünschen.

 

Konservative Alternativen

Komma – Magazin für Freiheit und christliche Kultur, MM Verlag, Goethestraße 5, 52064 Aachen www.komma-magazin.de

Gegengift – Zeitschrift für Politik und Kultur, Gerstenstraße 2, 85276 Pfaffenhofen www.cms.gegengift-verlag.de

eigentümlich frei, Malvenweg 24, 41516 Grevenbroich www.ef-magazin.de

Sezession, Rittergut Schnellroda, 06268 Albersroda www.sezession.de

Blaue Narzisse, Verein Journalismus und Jugendkultur Chemnitz e. V., Frankenberger Str. 136, 09131 Chemnitz www.blauenarzisse.de

idea, Steinbühlstr. 3, 35578 Wetzlar www.ideaspektrum.de.

Studienzentrum Weikersheim, Talstraße 39, 70771 Leinfelden-Echterdingen www.studienzentrum-weikersheim.de

Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung, Postfach 310508,10635 Berlin www.fkbf.de

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