© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/10 01. Oktober 2010

Grüße aus Moskau
Machtkampf im Kreml
Alexander Rahr

Moskaus Oberbürgermeister Juri Luschkow scheint zum Bauernopfer des beginnenden Machtkampfes zwischen Premierminister Wladimir Putin und Präsident Dmitri Medwedew zu werden. Beide haben Ambitionen auf das Amt des Präsidenten, das Anfang 2012 neu besetzt werden muß. In den letzten Wochen hat Putin klare Signale gegeben, daß er wieder zur Nummer eins aufsteigen will. Doch Präsident Medwedew möchte auch ernst genommen werden und nicht als Lückenbüßer in die Geschichte eingehen. Die Herrschaftselite ist völlig desorientiert angesichts der Existenz zweier Kommandozentralen. Keiner der Bürokraten will letztendlich im falschen Lager landen.

Medwedew entschied, am Beispiel des Oberbürgermeisters Luschkow ein Exempel zu statuieren

Der Höhepunkt des Machtkampfes zwischen Putin und Medwedew entfachte am Streit um die Rodung eines Waldstücks für den Bau einer Autobahn. Medwedew gab einer Protestaktion von Umweltschützern gegen das Projekt nach und stoppte das Prestigevorhaben, für das sich zuvor Putin stark gemacht hatte. Luschkow ergriff Partei für Putin, was wiederum die Autorität Medwedews – dem Luschkow formell untersteht – untergrub.

Medwedew entschied, am Beispiel Luschkows ein Exempel zu statuieren. Durch die Absetzung dieses politischen Schwergewichts konnte er dem Anschein entgegentreten, er sei machtlos. Für Medwedew symbolisiert Luschkow das Bild des typischen korrupten Spitzenbeamten, der seine Modernisierungspolitik boykottiert. 

Es ist kein Geheimnis, daß Personalentscheidungen dieser Bedeutung weniger von Medwedew als von Putin getroffen werden. Putin verhielt sich bislang im Streit Luschkows mit Medwedew neutral. Er wollte verhindern, daß Medwedew mit dem Rausschmiß Luschkows ein politischer Paukenschlag gelingt, der ihn in der Öffentlichkeit zum Helden macht. Für Medwedew ist die Entmachtung Luschkows die letzte Chance, aus dem Schatten seines Mentors Putin herauszutreten. Dadurch würde ihm auch ein entscheidender Schlag gegen das von ihm angeprangerte Korruptionsregime gelingen. Die Medwedew unterstützenden liberalen Kräfte würden neue Hoffnung für die bislang stockende Demokratisierung des Landes schöpfen.

 

Alexander Rahr, Rußlandexperte, ist Leiter des Berthold-Beitz-Zentrums in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

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