© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/10 01. Oktober 2010

GegenAufklärung
Kolumne von Karlheinz Weissmann

»Blut ist dicker als Wasser, Glaube wichtiger als Verfassung, Tradition wichtiger als Wohlfahrt.«

Als im Frühjahr 1982 das Buch „Die deutsche Einheit kommt bestimmt“ erschien, warb der Lübbe-Verlag mit dem Slogan „Was keiner glauben will ...“. Die Zusammensetzung der Autorenschaft entsprach den Präferenzen des Niekisch-Schülers, Linksnationalen, Neutralisten Wolfgang Venohr, der als Herausgeber Konservative wie Wolfgang Seiffert, Harald Rüddenklau und Hellmut Diwald mit Sozialdemokraten wie Herbert Ammon, Peter Brandt und Theodor Schweisfurth zusammengestellt hatte. Es ging um die Querfront der Patrioten, derjenigen, die den „Blockfetischismus“ abstreifen, „Jalta“ überwinden und den Deutschen die staatliche Einheit zurückgewinnen wollten. Der Erfolg des Bandes erklärte sich wesentlich aus dem Wandel der politischen Atmosphäre, nachdem die Ideen von ’68 teilweise erschöpft, teilweise in Ökologiebewegung und Pazifismus übergegangen waren. Da gab es unerwartete, sehr deutsche Synthesen, eine Art Friedensnationalismus diesseits wie jenseits der innerdeutschen Grenze, die man nur allmählich wieder als Konsequenz des Kalten Krieges, nicht als metaphysische Strafe für metaphysische Schuld begreifen lernte.

Dekadenzsymptom: Die Möbelindustrie setzt auf die Ottomane. Der Zusammenhang mit der Sarrazin-Debatte ist zwingend: Es geht aber weniger um türkische Zuwanderung und das Erschließen entsprechender Marktsegmente, eher um Vergreisung. Außerdem heißt das gefällige Sitzgruppenelement „long chair“.

Die Einstellung des Rheinischen Merkur (siehe auch den Bericht auf Seite 22 dieser Ausgabe) paßt zum Fortschritt in Sachen „innere Einheit“. Wieder ist ein Rest der Bonner „Rheinbundrepublik“ (Augstein dixit) verschwunden. Wer sich der Verdienste des Merkur um die konservative Sache erinnert, sollte doch nicht vergessen, welch sterbenslangweiliges Blatt er zuletzt war, und daß zu den Gründervätern ein Paul Wilhelm Wenger gehörte, der schon in den fünfziger Jahren die Wiedervereinigung obsolet, wenn nicht gefährlich nannte, weil sie das verhaßte Ostelbien zurückbringen würde. Damals gab es allerdings noch aufrechte Liberale, die für solchen Fall die passende Beschimpfung bereithielten: „Reichsverderber“ (Reinhold Maier).

Wenn man sich trotz allem scheut, Venohr unter die „Regenpfeifer“ zu zählen, also jene prophetischen Denker, die – wie der gleichnamige Vogel das Unwetter – die kommenden Großereignisse vorhersagen, dann hat das mit seiner Einschätzung der Sowjetunion zu tun. Venohrs Verzweiflung über das Schicksal des Vaterlandes führte ihn schon zu der grotesken Annahme, die DDR werde von „roten Preußen“ regiert, und dann zu dem Wunsch nach einer direkten Verständigung mit Moskau. Günter Zehm sah da klarer und äußerte in seiner Kritik von „Die deutsche Einheit kommt bestimmt“, daß hier die Macht der Zersetzungskräfte im Ostblock unterschätzt werde, „jener großen revolutionären Volksbewegung, die sich, langwierig zwar, doch unaufhaltsam in Ost- und Ostmitteleuropa Bahn bricht“, und: „Gute deutsche Wiedervereinigungspolitik zu machen, kann nur bedeuten, diesen notwendigen historischen Prozeß nach Kräften zu fördern.“

Der Aufstand der Anständigen ist länger im Gang, als man glaubt: 1960 ließ der Rektor der Mittelschule im holsteinischen Lauenburg einen sechzehnjährigen Schüler durch die Polizei festnehmen, weil der in der Toilette ein Hakenkreuz an die Wand gemalt hatte. Der Vorwurf lautete: „Staatsgefährdung“. Immerhin fand das die Regionalpresse empörend und sah sich an Zustände wie in der DDR erinnert.

„Homegrown terrorism“, etwa „hausgemachter Terrorismus“, ist auch einer dieser Begriffe, die mehr verschleiern als erklären. Der Terrorismus ist ja eben nicht „hausgemacht“, sondern importiert. Daß der Terrorist aus der zweiten Einwanderergeneration stammt, den Paß des Einwanderungslandes besitzt, ist ohne Belang. Alles kommt auf seine wahre, also ethnische, religiöse, kulturelle Herkunft an. Blut ist dicker als Wasser, Glaube wichtiger als Verfassung, Tradition wichtiger als Wohlfahrt.

„Die deutsche Einheit kommt bestimmt“ erschien bei Lübbe, bis in die achtziger Jahre einer der wenigen Publikumsverlage, die auch rechten oder nonkonformistischen Autoren offenstanden. Es heißt, daß Helmut Kohl eine zweite Auflage durch direkte Intervention verhindert habe, eine Fama, die es ähnlich in bezug auf das 1993 erschienene Buch „Westbindung“ gibt. Dessen Autoren wollten nach vollzogener Wiedervereinigung eine Art Bestandsaufnahme machen und den Weiterbestand des Blockzwangs diskutieren. In den Augen Kohls ein Sakrileg. Vor allem anderen war er machtbewußt, und zum Machtbewußtsein gehört auch die richtige Einschätzung von
Ideenmacht.

Die neue JF-Serie „GegenAufklärung“ des Historikers und wissenschaftlichen Leiters des Instituts für Staatspolitik (IfS), Karlheinz Weißmann, erscheint künftig alle zwei Wochen.

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