© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/10 01. Oktober 2010

Das Volk ist das historische Subjekt der Wiedervereinigung
Hans Joachim Meyer, Ex-Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, wandelt auf Sarrazins Fußspuren
Oliver Busch

Das „20 Jahre Wiedervereinigung“ gewidmete Septemberheft von Die politische Meinung (Nr. 490/2010), dem Organ der Konrad-Adenauer-Stiftung, eröffnet ein erwartungsgemäß langatmiger, von Angela Merkel gezeichneter Text ihres Redenschreiberkollektivs. Auch sonst geht es reichlich sprechblasig zu, wie es wohl zum staatstragenden guten Ton gehören muß.

Eine Ausnahme machen nur die Betrachtungen zur deutschen Einheit, die der gebürtige Rostocker Hans Joachim Meyer, Staatsminister außer Dienst und von 1997 bis 2009 Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, mit dem Untertitel „Das Volk ist das historische Subjekt der Wiedervereinigung“ beiträgt. Meyer rechnet darin scharf ab mit der „Leugnung der Nation“, von der das westdeutsche Establishment auch nach 1989 nicht lassen wollte. Sei das „Festhalten an deutscher Sprache und Kultur“ unter dem „internationalistischen“ SED-Regime für viele „eine Frage des geistigen Überlebens“ gewesen, gehörte es in der alten BRD zum „Ausweis der Weltbürgerlichkeit“, zu allem Deutschen auf habituelle Distanz zu gehen: „Man tug nicht nur ‘postmodern’, sondern auch ‘postnational’ und sah mit mitleidigem Staunen auf Menschen und Völker, denen das Nationale noch wichtig war.“ Schließlich, mitten im Umbruch des wunderbaren Jahres 1990 nicht allein von dem ewigen Grantler Günter Grass verfochten, habe man „allen Ernstes“ verlangt, die Bundesrepublik dürfe allein „in der Schuld von Auschwitz gründen“.

„Ungehemmte Bereitschaft zur geistigen Selbstenteignung“

Folgen solcher realitätsfernen Exaltationen, wirkten selbst nach zwanzig Jahren noch politisch verhängnisvoll nach. So sei die „Individualisierung“ des Gemeinwesens weiter fortgeschritten, und es finde sich kaum Widerstand gegen den „erschreckenden Verlust an sprachlicher Selbstachtung“, gegen die „ungehemmte Bereitschaft zur geistigen Selbstenteignung“ vor allem in der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Elite, die die „kulturelle Zukunftsfähigkeit“ der Nation aufs Spiel setze.

In der Sache nähert sich Meyer in solchen kassandrischen Passagen der „Selbstabschaffungs“-These Thilo Sarrazins. Nur Ton und Begrifflichkeit fallen moderater aus. In der zentralen, keiner diskursiv-rationalen „Letztbegründung“ fähigen, allein durch Dezision zu „entscheidenden“ Frage allerdings, ob die Deutschen als politisch verfaßtes Volk weiter in der Mitte Europas „sein“ sollen, paßt zwischen Meyer und den ehemaligen Bundesbankvorstand kein Blatt. Um so mehr verwundert die Veröffentlichung in einem CDU-Theorieorgan, direkt plaziert neben einem Beitrag der Sarrazin-Kritikerin Merkel.

Denn, so darf der Katholik Meyer die evangelische Pastorentochter Merkel belehren, das Volk sei eben kein „Fremdkörper in einer multikulturellen Gesellschaft“, den man auch nach dem Willen vieler Politiker schlicht durch „Bevölkerung“ oder „die Menschen“ ersetzen könne. Die vielbeschworene „Integration“, könne ohne „geschichtlich gewachsenes Volk“ nicht einmal ansatzweise gelingen. Allein dieses Volk stifte jene Identität, die jede „Zivilgesellschaft“ brauche, um mehr zu sein als „ein Tropfen im globalen Ozean“. Und „Freiheit und Volk“ als die „Grundelemente der Demokratie“ zu verstehen, das sei die eigentliche, wenn auch 2010 im „politisch-medialen Komplex“ (Henryk M. Broder) immer noch nicht begriffene Lehre aus „1989“.

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