© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Mit klingendem Spiel
Marcus Schmidt

Wer am Tag der Deutschen Einheit im Berliner Regierungsviertel unterwegs war, hatte Grund, sich zu wundern, und wer etwas älter war, fühlte sich vielleicht ein wenig an den historischen Abend des 2. Oktober 1990 erinnert. Damals feierten Hunderttausende Deutsche und Gäste aus der ganzen Welt vor dem Reichstag und am Brandenburger Tor die deutsche Wiedervereinigung und das Ende der Teilung Europas.

Und auch am deutschen Nationalfeiertag am vergangenen Sonntag hatten sich Tausende zwischen  Reichstag und Kanzleramt versammelt, um an der Feierstunde des Parlamentes zum zwanzigsten Jahrestag der Wiedervereinigung teilzunehmen und sich von dem in Schwarzrotgold getauchten Parlamentsgebäude beeindrucken zu lassen.

Für die zahlreich anwesenden Touristen mag es selbstverständlich gewesen sein, daß der deutsche Nationalfeiertag mit einer zwar kleinen, aber würdigen Feier im Regierungsviertel begangen wurde, und den wenigsten dürfte bekannt gewesen sein, daß es sich um eine absolute Ausnahme handelte. Denn wie auf fast allen Gebieten schwört Deutschland auch beim Feiern auf die Kraft des Föderalismus. Seit 1990 wandert die Einheitsfeier daher von Landeshauptstadt zu Landeshauptstadt. In diesem Jahr richtete Bremen (siehe oben) den Staatsakt und das vielgepriesene Bürgerfest aus – ein etwas bizarres Drachenbootrennen inklusive.

So richtig überzeugen konnte der feiernde Wanderzirkus in den vergangenen Jahren niemanden. Doch nun gibt es erste Anzeichen dafür, daß die bisherige, sehr bundesdeutsche Feierpraxis nach zwanzig Jahren endlich ernsthaft zur Diskussion gestellt wird. Am Dienstag regten Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) und der amtierende SPD-Fraktionschef Joachim Poß massenwirksam über die Bild-Zeiung an, künftig nur noch in der Hauptstadt zu feiern. „Der nationale Feiertag sollte – bei aller Würdigung des Föderalismus – in der Hauptstadt begangen werden“, sagte Poß der Zeitung. Den drohenden Widerstand der Landesfürsten vorausahnend fügte er hinzu, er wolle darüber mit den Bundesländern „in aller Freundschaft“ sprechen, den Staatsakt nur noch in Berlin abzuhalten. Kauder kündigte unterdessen an, er werde sich mit den anderen Fraktionschefs beraten, „wie wir nun jedes Jahr vom Parlament aus in der Hauptstadt die Einheit unseres Landes feiern können“.

Wer indes etwas mit der bundesdeutschen Diskussionskultur vertraut ist, ahnt bereits jetzt, daß es keine schnelle Entscheidung in dieser Frage geben wird. Und wer vielleicht schon voller Vorfreude nach Frankreich schaut, um sich Anregungen dafür zu holen, mit welchem auch militärischen Pomp ein selbstbewußtes Land seinen Nationalfeiertag begehen kann, der kann sich gewiß sein: Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern, bis das Wachbataillon der Bundeswehr am Tag der Deutschen Einheit mit klingendem Spiel durch das Brandenburger Tor marschiert und Kampfflugzeuge der Bundeswehr die deutschen Farben in den Himmel über Berlin malen werden.

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