© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

Die Handschrift des „Dulders“
Regierungsbildung in den Niederlanden: Geert Wilders und seine Partei für die Freiheit als Zünglein an der Waage
Mina Buts

Gut drei Monate hat es gedauert, bis nach langen und intensiven Sondierungsgesprächen in den Niederlanden endlich eine neue Regierung gebildet werden konnte. Künftig werden die Rechtsliberalen der VVD gemeinsam mit den Christdemokraten der CDA regieren. Da die beiden jedoch nur über 54 Stimmen im Parlament verfügen, sind sie auf die islamkritische Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders als Dulder angewiesen, um so die denkbar knappste Mehrheit von 76 im 150 Sitze umfassenden Parlament zu erhalten.

Weniger finanzielle Unterstützung für die EU

Während die VVD unter ihrem Vorsitzenden Mark Rutte von Anfang an für alle Koalitionen offen war – zeitweise sogar eine „lila“ Koalition aller linken Parteien mit der VVD in Betracht zog – bereitet den Christdemokraten die Regierungsbeteiligung oder auch nur Duldung der Wilders-Partei große Bauchschmerzen. Auf einem Sonderparteitag am vergangenen Wochenende wurden dann doch die Weichen für eine Minderheitsregierung gestellt: Eine deutliche Mehrheit von 68 Prozent der CDA-Mitglieder stimmte für die Duldung der PVV. Bis Mitte Oktober soll die neue Regierung Rutte I nun gebildet werden.

Der Duldungs- und Koalitionsvertrag trägt die deutliche Handschrift von Geert Wilders. Nicht nur, daß das Tempolimit auf den niederländischen Autobahnen auf 130 km/h erhöht werden soll – Wilders fordert in seinem Parteiprogramm sogar die völlige Freigabe –, vor allem in den Bereichen Sicherheit und Immigration konnte sich Wilders durchsetzen. Ab sofort soll es 50 Prozent weniger Immigration in die Niederlande geben, Burkas werden überall, Kopftücher teilweise verboten. Ehen unter Nichten und Neffen soll es nur noch im Ausnahmefall geben dürfen. Auch die Polizei wird um 5.000 Mann aufgestockt werden, gleichzeitig soll eine nationale Polizeibehörde aufgebaut werden. Coffeeshops werden nur noch für Niederländer zugänglich sein. Zudem wird die Anzahl der Parlamentarier in der ersten und zweiten Kammer um je ein Drittel verkleinert. Die Lebensarbeitszeit – von Wilders eigentlich für unverhandelbar gehalten – wird nun doch auf 66 Jahre erhöht. Künftig soll es auch neue Atomkraftwerke im Land geben.

Einigkeit herrscht bei allen drei Parteien über die notwendigen Einsparungen in Höhe von 18 Milliarden Euro jährlich. Künftig soll die EU mit jährlich einer Milliarde Euro weniger unterstützt werden – immerhin sind die Niederlande der drittgrößte Beitragszahler der EU. Neben Kürzungen bei Verteidigung und Entwicklungshilfe soll es auch Einschnitte bei der Kinderbetreuung und den jugendlichen Arbeitslosen geben, auch die Senkung des Mindestlohns zählt zu den Einsparpotentialen. Zudem sollen auch die kommunalen Parlamente verkleinert werden.

Auch eine Verurteilung kann Wilders nicht stoppen

So eindeutig das Votum der Christdemokraten auf dem Parteitag am Wochenende auch schien, der innerparteiliche Machtkampf über die künftige Ausrichtung der Partei ist voll ausgebrochen. Während der Parteivorsitzende Henk Bleker das deutliche Abstimmungsergebnis seiner Partei lobte und anmahnte, den Blick nun nach vorne zu richten, hielt der amtierende christdemokratische Justizminister Ernst Hirsch Ballin mit Blick auf die zwei Abweichler seiner Partei, Kathleen Ferrier und Ad Koppejan, dagegen: „Sie wissen, daß sie zu zweit die Meinung von einem Drittel der Kongreßmitglieder verkünden. Jeder weiß, daß sie nicht allein stehen.“ Ob Ferrier und Koppejan tatsächlich die Fraktionsmitarbeit aufkündigen werden, ließen beide offen, die Christdemokraten stehen jedenfalls vor einer Zerreißprobe. Selbst der 95jährige ehemalige christdemokratische Ministerpräsident Piet de Jong meldete sich: „Daß ich auf meine alten Tage noch miterleben muß, wie Hand angelegt wird an die Religionsfreiheit, das darf doch nicht sein.“

Und noch eine Unwägbarkeit steht im Raum: Am vergangenen Montag wurde der für die Zeit der Wahlen und Regierungsbildung ausgesetzte Prozeß gegen Wilders wegen Anstachelung zum Rassenhaß wieder aufgenommen.

Allerdings würde eine Verurteilung Wilders Popularität vermutlich keinen Abbruch tun. Nach den neuesten Umfragen würde Wilders mit 31 Sitzen größte Partei vor der VVD mit 30 Sitzen. Die CDA müsste sich weit abgeschlagen mit 16 Sitzen zufriedengeben.

Foto: Die neue Regierung der Niederlande: Maxime Verhagen (CDA), Mark Rutte (VVD) und „Dulder“ Geert Wilders von der islamkritischen PVV

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