© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

Fakten spielten keine Rolle
Zehn Jahre „Aufstand der Anständigen“: Der Kampf gegen Rechts als Vehikel des Umbaus Deutschlands zur „antifaschistischen Republik“
Michael Paulwitz

Am zehnten Jahrestag der Wiedervereinigung war von der deutschen Einheit kaum die Rede. Ein Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge und Hakenkreuzschmierereien an der KZ-Gedenkstätte Buchenwald in der Nacht auf den 3. Oktober 2000 ließen den damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland die Rechtsradikalismus- und Antisemitismuskeule schwingen.

Täter waren ein Marokkaner und ein Palästinenser

Das von Paul Spiegel „dringend“ geforderte Zeichen kam, seine Drohung, den Aufbau jüdischer Gemeinden in Deutschland in Frage zu stellen, wenn die Beteiligung an Demonstrationen „gegen Rechts“ weiter so gering bliebe, wirkte. Am 4. Oktober 2000 traf Bundeskanzler Gerhard Schröder mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden zusammen und rief anschließend den „Aufstand der Anständigen“ aus. Ein Schlagwort, das den Umbau Deutschlands zur „antifaschistischen Republik“ rasant beschleunigt hat. Nur vordergründig hatte der Taktiker Gerhard Schröder da geistesgegenwärtig die Gelegenheit ergriffen, seiner an ersten Ermüdungserscheinungen leidenden rot-grünen Koalition ein belebendes neues Projekt zu verschaffen. Die Zündung einer nächsten Stufe im „Kampf gegen Rechts“ lag schon seit längerem in der Luft, nachdem der „Lichterketten“-Elan in den ausgehenden 1990er Jahren merklich verblaßt war.

Ein Vorbeben des Schröderschen „Aufstands“ war bereits der Rohrbombenanschlag an einer Düsseldorfer S-Bahn-Station am 27. Juli 2000 gewesen, bei dem sieben jüdische Einwanderer aus der einstigen Sowjetunion verletzt worden waren. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU)hatte den ebenfalls umgehend als „rechtsextrem“ und „antisemitisch“ einsortierten Vorfall benutzt, um die rot-grüne Bundesregierung mit der Forderung nach einem NPD-Verbot unter Zugzwang zu setzen. Der Anschlag wurde nie aufgeklärt; die Behörden ermittelten zuletzt in Richtung eines Racheakts aus dem Spektrum der importierten organisierten Kriminalität.

Die Täter des Düsseldorfer Synagogenanschlags wurden dagegen schon nach wenigen Monaten gefaßt. Am 7. Dezember wurden zwei junge Araber, ein 19jähriger Palästinenser und ein 20jähriger Marokkaner, festgenommen und ein Jahr später verurteilt. Sie waren durch Bilder von der Erschießung eines arabischen Jugendlichen durch israelische Soldaten in Gaza zu der Tat angestachelt worden. Paul Spiegel ließ sich indes nicht davon beeindrucken, daß seinen Anklagen die wichtigste Rechtfertigung entzogen worden war. Dann müsse man eben die – von ihm spontan in den Raum gestellte – „Bündelung rechtsradikaler und fanatischer nahöstlicher Kräfte“ ins Visier nehmen.

Und auch der von Schröder proklamierte „Aufstand der Anständigen“ hatte inzwischen einen Grad der Hysterisierung erreicht, der sich von Fakten kaum mehr abkühlen ließ. Nach Steinwürfen auf eine Kreuzberger Synagoge am 6. Oktober (die Ermittler tappten ebenfalls im dunkeln, zeitweise wurde ein verdächtiger arabischer Einwanderer vernommen) besuchten Politiker aller Bundestagsparteien einen Sabbatgottesdienst; im Anschluß entstand der Plan einer – ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland – vom politischen Establishment veranstalteten Staatsdemonstration am 9. November 2000 in Berlin.

Vergatterung zum Kampf gegen Rechts

Zweihunderttausend Menschen folgten schließlich den wochenlangen Mobilisierungsaufrufen unter dem „lustigen Motto“ (Henryk M. Broder) „Wir stehen auf für Menschlichkeit und Toleranz“. Bundeskanzler Schröder, mehrere Bundesminister und die Vorsitzenden aller im Bundestag vertretenen Parteien waren angetreten, Bundespräsident Johannes Rau und Paul Spiegel hielten die Reden. Letzterer vergatterte politische Klasse und Bevölkerung zum permanenten Kampf gegen Rechts, verbot jeglichen „Populismus“ und kanzelte insbesondere die stumm neben ihm stehenden Unionspolitiker ab: „Was soll das Gerede um die Leitkultur? Ist es etwa deutsche Leitkultur, Fremde zu jagen, Synagogen anzuzünden, Obdachlose zu töten?“ Die von Friedrich Merz eben erst begonnene zaghafte Debatte um Sinn, Ziel und Grenzen von Einwanderungs- und Integrationspolitik war damit sogleich wieder erledigt.

Zehn Tage nach dieser denkwürdigen Demonstration der politischen Klasse gegen sich selbst und gegen das wieder mal unter Kollektivverdacht gestellte und zur Mitwirkung eingeladene eigene Volk heizte Bild mit einer Schauergeschichte die Stimmung weiter an: Eine „Horde Neonazis“ solle schon 1997 im Schwimmbad der sächsischen Stadt Sebnitz unter den gleichgültigen Augen der übrigen Besucher einen fremdländisch aussehenden kleinen Jungen ertränkt haben. Der Fall kam wie gerufen, um den vermeintlichen „Alltagsrassismus“ aus der „Mitte der Gesellschaft“ zu belegen, und löste eine fakten- und recherchefrei gleichgerichtete Medienhysterie aus, die sich trotz der grandiosen Blamage für die Zunft – es stellte sich schließlich heraus, daß die Mutter des Jungen, die sogar von Bundeskanzler Schröder empfangen worden war, die „Neonazis“ aus Verzweiflung über den Unfalltod ihres Sohnes nur erfunden hatte – noch mehrmals wiederholen sollte, etwa bei der angeblichen „Hetzjagd“ von Mügeln 2007.

Schröders Aufstandsaufruf, der Massenaufmarsch vom 9. November 2000 und der Fall Sebnitz hatten den Boden dafür bereitet, den „Kampf gegen rechts“ zur dauerhaften Einrichtung zu machen. Die erste symbolpolitische Aufstandshandlung war die Einleitung des von Beckstein angeregten NPD-Verbotsverfahrens durch Bundesinnenminister Schily. Der im Januar 2001 eingereichte Verbotsantrag geriet freilich zum Debakel; im März 2003 stellte das Bundesverfassungsgericht das Verfahren ein, weil nicht auszumachen war, welche der Indizien von V-Leuten des Verfassungsschutzes quasi „hausgemacht“ waren.

Folgenschwerer war die Schaffung von unmittelbaren Anlässen abgekoppelter millionenschwerer Bundesprogramme, die trotz anfänglicher Befristung längst zur Dauereinrichtung geworden sind (siehe Kasten). Durch die häufig geforderte Kofinanzierung von Projekten durch Länder und Kommunen vervielfachten sich die ausgeschütteten Mittel; dazu legten zahlreiche Bundesländer eigene Programme auf.

Permanenter warmer Geldregen für Soziologen

Der permanente warme Geldregen ließ blühende Sozialindustrielandschaften entstehen und machte den „Kampf gegen Rechts“ zur institutionalisierten Dauerrevolution gegen das eigene Volk. Zu einem der Marktführer entwickelte sich die bereits 1998 gegründete Amadeu-Antonio-Stiftung, die mit dem Stern für die Aktion „Mut gegen rechte Gewalt“ und der Zeit für das „Netz gegen Nazis“ einflußreiche Meinungsmacher als Kooperationspartner fand und weitere wichtige gesellschaftliche Akteure mobilisieren konnte: Deutscher Feuerwehrverband, Deutscher Olympischer Sportbund, DFB und Bundesliga sind beim „Kampf gegen Rechts“ längst in vorderster Front dabei. Das Bundesinnenministerium ermuntert dazu gerne mit Millionenprogrammen etwa für Sport und Integration.

Preisverleihungen, Wettbewerbe und Internetkampagnen sorgen zusätzlich für mediale Dauerpräsenz. Das schon im Mai 2000 von den Bundesministerien des Inneren und der Justiz initiierte „Bündnis für Demokratie und Toleranz“, das sich 2008 mit der Ehrung der Hakenkreuzritzerin von Mittweida lächerlich machte, zeichnet weiter Jahr für Jahr fünf Initiativen oder Aktivisten mit Geldpreisen aus. Die Initiative „Gesicht zeigen“ des Schröder-Regierungssprechers Uwe-Karsten Heye machte vor der Fußball-WM 2006 mit der Warnung vor „no-go-areas“ für Ausländer Schlagzeilen.

Erst in Folge des „Aufstands der Anständigen“, konstatiert die taz, sei in Deutschland „ein flächendeckendes Netz von Beratungs- und Projektstellen mit hauptamtlichem Personal“ entstanden. Diese Strukturen fühlen sich durch die von Schwarz-Gelb angekündigte Umwidmung der Bundesprogramme zur Bekämpfung aller Extremismen, also auch des linken und islamistischen, in ihren Pfründen bedroht.

Ihr in zehn Jahren aufgebauter institutioneller und diskurskontrollierender Vorsprung ist indes so leicht nicht einzuholen, und die „antifaschistische“ Argumentationsweise, wonach Rechts- und Linksextremismus nicht gleichzusetzen seien, weil es beim „Kampf gegen Rechts“ nicht gegen politische Extremismen gehe, sondern gegen gesamtgesellschaftliche Einstellungen und Haltungen, ist längst klaglos von der Union rezipiert. Auch Bundesinnenminister de Maizière glaubt „Gegenden“ zu kennen, „wo der Rechtsextremismus in die Mittelschicht hineinkriecht“. Auch ohne die von SPD, Grünen und Linken beharrlich geforderte Aufstockung und Verstetigung ihrer Strukturen brauchen sich die Kriegsgewinnler des Feldzugs „gegen Rechts“ um ihre Zukunft kaum zu sorgen.

 

Millionen für den „Kampf gegen Rechts“

Das im Februar 2001 präsentierte Aktionsprogramm „Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ wurde seit dem Jahr 2002 in die Projektförderprogramme „Civitas“ und „Entimon“ aufgespalten. Bis 2007 flossen 117 Millionen Euro für „Maßnahmen zur Stärkung der Zivilgesellschaft“.

Seit dem Jahr 2007 heißen die Programme „Vielfalt tut gut“ (fördert „Lokale Aktionspläne“ und „Modellprojekte“) und „kompetent für Demokratie“ (baut „Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus“ auf) und sind mit jährlich 19 beziehungsweise fünf Millionen Euro dotiert. Von 2011 bis 2013 werden die Aktivitäten im Nachfolgeprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ wieder zusammengefaßt und weiter mit 24 Millionen Euro im Jahr finanziert.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat vor kurzem das Programm „Zusammenhalt für Teilhabe“ für Extremismusbekämpfung in den neuen Ländern mit 18 Millionen Euro bis 2013 aufgelegt. Das vom Europäischen Sozialfonds mitfinanzierte Bundesprogramm „Xenos“ fördert Qualifizierungs-, Ausländerintegrations- und „Aufklärungs“-Programme mit insgesamt 350 Millionen Euro zwischen 2008 und 2012. Dazu gehört auch ein „Aussteiger“-Programm des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. www.vielfalt-tut-gut.de

Foto: Auftaktveranstaltung des „Aufstands der Anständigen“ am 9. November  2000 vor dem Brandenburger Tor in Berlin: Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, der Präsident des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, die Grünen-Vorsitzende Renate Künast, die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Marieluise Beck und Bundespräsident Johannes Rau (v.l.n.r.)

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