© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

Nachdenken über einen Vordenker
André Schlüter hat sich dem biographisch lange vernachlässigten Staatstheoretiker und Konservativen Revolutionär Arthur Moeller van den Bruck genähert
Karlheinz Weissmann

Der Name Moeller van den Brucks ist fast vergessen. Er findet sich nur noch in Fußnoten, wenn es um den Ursprung des Begriffs „Drittes Reich“ geht, oder in der Fachliteratur zur „Konservativen Revolution“. Deren Umfang hat in den vergangenen Jahrzehnten erstaunlich zugenommen, und es erscheinen weiter Quellenpublikationen wie Darstellungen zu allen möglichen Aspekten, darunter auch eine Reihe von Aufsätzen und Büchern, die sich mit Person und Ideen Moellers befassen. Allerdings fehlte bis dato ein Ersatz für die Monographie von Hans-Joachim Schwierskott (Arthur Moeller van den Bruck und der revolutionäre Nationalismus in der Weimarer Republik, Göttingen 1962), die in bezug auf die Biographie als maßgeblich zu betrachten war.

Die Lücke versucht jetzt André Schlüter mit seinem Buch „Moeller van den Bruck. Leben und Werk“ zu schließen. Er stellt auf mehr als vierhundert Seiten den Lebenslauf, vor allem aber den geistigen Werdegang Moellers dar. Man wird gegen das meiste, was Schlüter schreibt, nichts einwenden müssen. Er zeichnet den Weg vom Sohn aus gutem Hause zum gescheiterten Gymnasiasten, Bohémien décadent, Nationalerzieher, Herausgeber der Schriften Dostojewskis, Propagandafachmann und der Leitfigur des jungkonservativen Lagers nach, referiert den Inhalt der Hauptschriften – der frühen Arbeit „Das Varieté“, des mehrbändigen Werks „Die Deutschen“, des „Preußischen Stils“, des „Rechts der jungen Völker“, des „Dritten Reichs“ – genauso wie die Entwicklung der Leitgedanken, die Moeller zum Teil in Aufsätzen an entlegener Stelle zuerst veröffentlicht hat. Es gibt außerdem ein Schlußkapitel zur Rezeption, das sich ganz sachlich mit der wachsenden Bedeutung Moellers in der Endphase der Weimarer Republik (wobei die fatalen Eingriffe des Herausgebers seiner Schriften, Hans Schwarz, deutlich hervorgehoben werden) und dann mit den Stellungnahmen in der NS-Zeit beschäftigt, die ursprünglich ambivalent waren, bei grundsätzlich positiver Tendenz, dann aber ins Negative umschlugen und den „letzten Konservativen“ aus der Reihe der Vorläufer tilgten.

Vorbehalte muß man allerdings gegen die Gewichtung Schlüters und manche Bewertungen anmelden. Hierfür einige Beispiele: So bleibt schon unverständlich, warum in bezug auf Moellers 1906 erschienenes Buch „Die Zeitgenossen“ der wichtigen Auseinandersetzung mit der Figur des amerikanischen Präsidenten Theodore Roosevelt (der in Deutschland damals oft als Repräsentant eines stammverwandten „Amerikanertums“ galt) so wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Eine präzisere Fassung dieses Zusammenhangs hätte auch einiges Licht auf den eigentümlichen Sozialdarwinismus Moel-lers werfen können. Grob verzeichnend ist, wenn Schlüter behauptet, daß „Das Recht der jungen Völker“ eine spezifische „Version der ‘Dolchstoßlegende’“ präsentierte, nur weil Moeller auf die Bedeutung der alliierten Propaganda abhob und der einen maßgeblichen Anteil am Zusammenbruch der „Heimatfront“ zuwies.

Hier kommt – wie an anderen Stellen – ein deutlicher Mangel an Vertrautheit mit den historischen Rahmenbedingungen zum Tragen, der sich auch bei der Behandlung von Moellers Wirken in der Nachkriegszeit niederschlägt, weil Schlüter die Mühe scheut, die Entwicklung seiner Position vor dem Hintergrund der politischen, militärischen und sozialen Ereignisse im einzelnen nachzuzeichnen und zu deuten. Eine genauere Kenntnis der Literatur hätte an diesem Punkt hilfreich gewirkt. Ähnliches wird man in bezug auf die Darstellung von Moellers Faschismus-Rezeption sagen müssen. Zutreffend hebt Schlüter Moellers prinzipielle, keineswegs nur taktische, Kritik hervor, aber die zeitgenössische Debatte über die italienische Bewegung ist ihm nicht vertraut, so daß ihm auch die relative Normalität der Anschauungen Moellers entgeht.

Statt einer adäquaten Einordnung in den Zusammenhang bietet Schlüter schließlich eine merkwürdige Spekulation: „Obgleich sich also eine vermutlich unüberbrückbare Distanz sowohl zum Italofaschismus als auch zum Nationalsozialismus ausmachen läßt, bleibt letztlich der Befund, daß Moeller die Nationalsozialisten als tatkräftigen Bündnispartner im Kampf gegen Weimar und Versailles allemal akzeptiert hätte.“ Der Leser weiß so wenig, was er davon halten soll, wie bei anderen Abschnitten des Buches, die der Reflexion dienen, aber keine eigenständigen Überlegungen und Wertungen bieten, sondern nur Begriffe rekombinieren, die Schlüter von allen möglichen Autoren bezogen hat, die gerade Mode sind.

Es fällt dabei ein Mangel an Sorgfalt im Gedanklichen auf, dem die Schlamperei im Satz des Buches korrespondiert: Angefangen bei den Falschschreibungen über die große Zahl von Druckfehlern bis zur abhanden gekommenen Schlußseite des Literaturverzeichnisses gibt es vieles, das mehr oder weniger ärgerlich ist, wenn auch nicht so ärgerlich wie die Unzulänglichkeiten des Inhalts. Insofern wird man zwar dankbar zur Kenntnis nehmen, daß es wieder eine umfassende Arbeit zu Moeller van den Bruck gibt.Man kann dieses Buch aber leider bloß mit erheblichen Einschränkungen empfehlen.

André Schlüter: Moeller van den Bruck. Leben und Werk. Böhlau Verlag, Köln 2010, gebunden, 449 Seiten, 54,90 Euro

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