© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/10 08. Oktober 2010

Frisch gepresst

Dahlmann. Dank viel Vitamin B erhielt, ohne je Geschichte studiert zu haben, der Altphilologe Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860) im Jahre 1812 ein Kieler Extraordinariat für dieses Fach. Für eine der Gründergestalten der deutschen Geschichtswissenschaft ein etwas wackliger Karrierestart. Aber der junge Mann bewährte sich, wechselte 1829 von der Förde nach Göttingen, mußte dort als einer der „Sieben“, die sich 1837 gegen den Verfassungsbruch des Königs von Hannover stemmten, seinen Hut nehmen, arbeitete in Jena an seinem dreibändigen, gleichwohl nur bis ins 16. Jahrhundert vorstoßenden Hauptwerk, der „Geschichte Dänemarks“, und fand dann ein komfortables Asyl im liberalen Preußen auf einem Bonner Lehrstuhl für Geschichte und Staatswissenschaft, wo er sich der Englischen (1844) und der Französische Revolution (1845) publizistisch widmete. Geprägt vom Bürgergeist seiner Vaterstadt Wismar, die sich zum Zeitpunkt seiner Geburt noch unter schwedischer Herrschaft befand, verkörperte der altliberale Bewunderer des englischen Konstitutionalismus als Sekretär der schleswig-holsteinischen Ritterschaft wie als nationalliberaler, kleindeutsch-preußischer Abgeordneter der Paulskirche zeitlebens den Typus des „Gelehrtenpolitikers“, für den „Geschichte und Gegenwart, Geschichte und Politik unauflöslich zusammengehörten“ (Reimer Hansen) und der aus wissenschaftlich-historiographischem Tun vor allem „Nutzen“ für die Gestaltung des Gemeinwesens ziehen wollte. Der Bochumer Emeritus Wilhelm Bleek glaubt, daß Dahlmann uns mit diesem Verständnis der politisch-staatsbürgerlichen Bedeutung von Geschichtsschreibung heute wieder nahe ist. Dementsprechend sympathisch präsentiert er seine Biographie, die überpünktlich zum 150. Todestag im November vorliegt, die aber das zweibändige Lebensbild Anton Springers von 1870/72 freilich vielfach nur „modernisierend“ nacherzählt.

Wilhelm Bleek: Friedrich Christoph Dahlmann. Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2010, gebunden, 472 Seiten, Abbildungen, 34,95 Euro

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