© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

Keine Villa Kunterbunt
Integrationsdebatte: Der Islam ist weder Teil der deutschen noch einer europäischen Kultur
Christian Vollradt

Vielleicht hätte man jemanden fragen sollen, der sich damit auskennt. Der Werbespruch für das Branchenverzeichnis Gelbe Seiten kann auch in der aktuellen Debatte um den Islam in Deutschland angewendet werden. Ungetrübt vom Blick auf die Tatsachen hatte sich da mancher zu Wort gemeldet, um im „Do-it-yourself“-Verfahren mit am großen Integrationsplan zu zimmern: Deutschland – eine „Villa Kunterbunt“, in der alle gleichberechtigt nebeneinander wohnen, die guten Willens sind und die Hausordnung beachten. Und das heißt: „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“

Über diese ebenso apodiktische wie inhaltlich schwammige Parole, die Christian Wulff als präsidialer Verwalter ausgegeben hat, streiten sie nun munter im medialen Treppenhaus dieser Republik: Wir brauchen keinen weiteren Zuzug „aus anderen Kulturkreisen“, entgegnet Horst Seehofer (CSU) mit Blick auf eben jene neuen Mitbewohner, die mit der Integration mehr Probleme haben als andere. Darüber zeigt sich seine Unionsfreundin, die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer, „schockiert“, und Grünen-Chefin Claudia Roth geißelt Seehofers Aussage als „Rassismus“. Versöhnlicheres gewünscht? Bitte sehr: Unsere kulturellen Wurzeln lägen in der „christlich-jüdischen Tradition“, so Chefdiplomat Guido Westerwelle, aber der Islam sei „Teil der gesellschaftlichen Realität Deutschlands“.

Nun, Realität ist zunächst einmal nur, daß in Deutschland eine statistisch nur unzureichend gesicherte Zahl von Menschen lebt, die sich zum Glauben an Allah bekennen, zu seinem Propheten Mohammed und für die der Koran unbedingte Gültigkeit hat. Dieses Bekenntnis allein macht einen Muslim – „einen, der sich unterwirft“ – aus. Das mag in Deutschland auf drei Millionen Einwohner zutreffen oder auf über vier Millionen, so genau weiß es niemand. Diese fünf Prozent der Bevölkerung wiederum verteilen sich nicht nur auf mehrere Konfessionen, sondern sind auch noch ethnisch differenziert – soviel zu „dem Islam“.

Realität ist, daß die Zahl der hier lebenden Muslime in absehbarer Zeit wohl nicht sinken wird. Das wird selbst derjenige zugestehen müssen, der auf eine (recht unwahrscheinliche) radikale Kehrtwende in Sachen Einwanderung setzt. Von dieser Einsicht entbunden ist nur, wer sich vom realpolitisch Machbaren gleich grundsätzlich verabschiedet.

Realität ist aber auch, daß das bloße Vorhandensein einer bestimmten Gruppe noch nichts über deren Zugehörigkeit zu einer sie umgebenden Kultur oder gar über ihren Einfluß auf diese aussagt. Gerade „der Islam“ in Deutschland beweist ja schließlich, daß man sehr wohl mittendrin, doch nicht dabei sein kann.

„In den Ländern des Westens, in die seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts etliche Millionen Muslime einströmten, zeigen sich die Spannungen in der Unwilligkeit, vielleicht auch in der Unfähigkeit eines großen Teils der Zuwanderer, die hier geltenden ganz anders, nämlich nicht religiös begründeten Normen des Alltags als verbindlich anzuerkennen“, schrieb dazu einer, der sich damit auskennt, der renommierte Islamwissenschaftler Tilman Nagel.

Denen, die sich Abhilfe versprechen, indem sie etwa von einer „Übereinkunft zwischen der deutschen Aufnahmegesellschaft und der muslimischen Bevölkerung Deutschlands“ (so der ehemalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble) träumen und dies – wie beispielsweise dieser Tage an der Universität Osnabrück – mit der Eröffnung einer „euro-islamischen“, staatlich anerkannten Imam-Ausbildung erreichen wollen, sei anhand von Nagels Forschungsergebnissen vorgehalten, daß der Ansatz einer muslimischen „Aufklärung“ schon vor 900 Jahren blutig unterbunden wurde.

Und mit wem, bitte, will denn der deutsche Staat über die Lehrinhalte verhandeln, wo es weder einen schiitischen „Vatikan“ noch sunnitische „Landeskirchen“ gibt, in der Realität des „Islam in Deutschland“.

Der Uneinheitlichkeit der islamischen Gemeinschaft(en) in Deutschland entspricht ihre organisatorische Zersplitterung (siehe Seite 7). Noch immer gehört der größte Teil der Gläubigen keinem der „großen“ Verbände an, sondern – wenn überhaupt – einem lokalen Moscheeverein. Diejenigen Organisationen, die sich vor allem dank ihrer Finanzkraft oder ihrer Anbindung an staatliche Stellen in den Herkunftsländern besonders lautstark als Interessenvertreter für islamische Angelegenheiten gerieren, werden alles daransetzen, die ablehnende Haltung ihrer einfachen Mitglieder zum Säkularismus der westlichen Aufnahmegesellschaft zu erhalten: weil sie dadurch ihre eigene Rolle als vermittelnde Instanz „zwischen der – angeblich von der Mehrheitsgesellschaft mißverstandenen – muslimischen Minderheit und den einheimischen politischen, kirchlichen und publizistischen Führungsschichten behaupten“ können, schrieb Nagel in seiner Dogmatik über den Propheten Mohammed.

Zudem sei der Glaube an die eigene Überlegenheit mitnichten Zeugnis eines radikalen Islamismus, sondern „vielmehr das Welt- und Selbstverständnis der erdrückenden Mehrzahl traditionsverwurzelter Muslime“.

Der Islam präge unsere Gesellschaft und unser Staatsverständnis nicht annähernd so wie das Christentum und gehöre nicht zum Fundament unseres Landes, stellte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) im Widerspruch zu Wulffs Votum klar. Wie recht er hat. Und wie unverständlich, warum er trotzdem in seinem Bundesland einen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht – nach dem Vorbild des christlichen – an staatlichen Schulen einführen will. Vielleicht hätte er vorher jemanden fragen sollen, der sich damit auskennt.

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