© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

Umweltkatastrophen
Grenze der Machbarkeit
Klaus Motschmann

Die weltweit schweren Naturkatastrophen im Laufe dieses Jahres – in Chile, China, Haiti und Pakistan, die Ölpest in Amerika, die Waldbrände in weiten Teilen Rußlands und nun die Giftschlamm-Lawine in Ungarn – haben angesichts der apokalyptischen Ausmaße die Frage aufgeworfen, ob es sich dabei nicht um die Ankündigungen eines Strafgerichts Gottes handeln könnte. In unserer gründlich säkularisierten und pluralisierten Gesellschaft fallen die Antworten auf diese Frage verständlicherweise sehr unterschiedlich, ja widersprüchlich aus; was eher zur weiteren Verwirrung denn zur Klärung beiträgt.

Aber wie immer man die religiös, ideologisch oder massenpsychologisch motivierten Antworten beurteilt: Sie stimmen darin überein, daß die bisherigen Lösungen der anstehenden Probleme immer nur vorübergehender Natur waren, weil sie die Grenzen menschlicher Machbarkeit nicht hinreichend beachtet und den reichen Erfahrungsschatz der Geschichte mißachtet haben. Dazu gehören die Verheißungen des sogenannten Wissenschaftlichen Sozialismus über die Beherrschung nicht nur der gesellschaftlichen, sondern auch der Naturgesetze in einer sozialistischen Gesellschaft. Friedrich Engels hat sich dazu in einer zentralen Schrift des Marxismus wie folgt geäußert:

„Die Gesetze ihres eigenen gesellschaftlichen Tuns, die den Menschen bisher als fremde, sie beherrschende Naturgesetze gegenüberstanden, werden dann von ihnen mit voller Sachkenntnis angewandt und damit beherrscht. Die objektiven fremden Mächte, die bisher die Geschichte beherrschten, treten unter die Kontrolle der Menschen selbst. Erst von da an werden die Menschen ihre Geschichte in vollem Bewußtsein selbst machen, erst von da an werden die von ihnen in Bewegung gesetzten gesellschaftlichen Ursachen vorwiegend und in stets steigendem Maß auch die von ihnen gewollten Wirkungen haben.“

Es ist richtig, daß sich die Sozialisten unserer Zeit sehr viel zurückhaltender zu diesem Thema äußern als Friedrich Engels. Es ist allerdings auch richtig, daß diese illusionistische Prognose das sozialistische Menschen- und Weltverständnis nachhaltig geprägt hat und – aus ganz anderen Motiven – in der „Yes-we-can-Mentalität“ zum Ausdruck kommt. Wie lange noch?

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste Berlin

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