© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

Wenn es brennt und keiner kommt
Nachwuchssorgen bei der Freiwilligen Feuerwehr: Wehren schlagen Alarm – Leistungsniveau nicht haltbar / Kampagnen für das Ehrenamt
Hans Christians

Stellen Sie sich vor, sie wählen die 112 und niemand kommt. Was sich wie ein Schreckensszenario anhört, könnte sich in kurzer Zeit schon als Realität herausstellen. Denn die Freiwillige Feuerwehren in Deutschland klagen an vielen Orten über akuten Nachwuchsmangel.

Zeit zum Handeln, sagte sich die Feuerwehr Hannover und startete nun die Kampagne „Das ist doch Ehrensache“. Es geht um die Rekrutierung ehrenamtlicher Mitglieder. Deren Anzahl ist seit Jahren rückläufig. Kein gutes Omen für künftige Krisensituationen. „Engpässe gab es bis dato nicht“, beschwichtigt Alfred Falkenberg im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Doch die Zeit wird knapp. „Insbesondere der demographische Wandel“, so der Sprecher der Feuerwehr Hannover weiter, zwingt die Leinestädter zu dieser „prophylaktischen Maßnahme“.

Stadt, Land – überall heulen die Alarmsirenen

Doch es sind nicht nur die demographische Veränderungen, die der Feuerwehr Sorgen bereiten. In den „urbanen Welten der jungen Erwachsenen erscheinen die Werte und Normen der Freiwilligen Feuerwehr als wenig attraktiv“, erklären nun die Kampagnenmacher und legen die Finger in die Wunde: In den letzten 20 Jahren hätten sich die „gesellschaftlichen Verhältnisse im großstädtischen Bereich extrem verschoben“. Zudem würde es durch „soziale, demographische und ethnische Verformungen“ immer „schwerer, ein konsistentes und verläßliches Abbild der urbanen Lebensformen zu entwickeln“. Fünf vor zwölf. Doch Hannover ist nicht der einzige Ort in Deutschland, der Nachwuchssorgen bei der Freiwilligen Feuerwehr hat. Ob Stadt, ob Land – überall heulen die Alarmsirenen.

Rüdiger Kauroff, Ortsbrandmeister der Freiwilligen Feuerwehr Garbsen, hat die Probleme nicht: „Wir haben 80 Aktive, da können wir ein paar Ausfälle schon kompensieren“, beschreibt er die Situation in seiner Stadt. „Aber in den ländlichen Gegenden hören wir natürlich ganz andere Geschichten“, weiß Kauroff auch vom Wehklagen seiner Kollegen aus dünner besiedelten Gegenden zu berichten. „Wenn die nur 20 Aktive haben und drei davon wegfallen, gibt es Probleme“. Denn zwanzig Mann, so Kauroff weiter, sei die Mindeststärke, die eine Wehr etwa für den Löscheinsatz bei einem Hausbrand benötige.

Angesichts stetig sinkender Mitgliederzahlen sieht selbst Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann massive Sicherheitsprobleme auf sein Land zukommen. „Der Bevölkerungswandel wird sich negativ auf die Arbeit auswirken“, sagte der CDU-Minister Anfang August. Das derzeit hohe Leistungsniveau könne mit weniger Feuerwehrleuten nicht aufrechtgehalten werden. Im Vorjahr verzeichneten die Feuerwehren in Niedersachsen rund 127.160 Brandbekämpfer. 2002 waren es noch deutlich mehr als 132.000. Prognosen gehen davon aus, daß bis 2050 alleine bei den Jugendfeuerwehren die Mitgliederzahlen von derzeit mehr als 30.735 auf rund 10.500 zurückgehen werden. Auf Bundesebene sind die Zahlen nicht besser. Hier ist die Zahl der Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr von 1.170.000 im Jahr 1990 auf 1.042.000 im Jahr 2008 gesunken.

Lediglich im Zuge des Projektes „Frauen am Zug“, das der Deutsche Feuerwehrverband (DFV) im Mai 2007 ins Leben gerufen hat, ist in den letzten Jahren eine positive Entwicklung erkennbar. „Aufgrund des stetig wachsenden Engagements von Frauen,“ so die Pressesprecherin des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), Silvia Darmstädter, gegenüber der JF, stieg die Zahl der Frauen in der Freiwilligen Feuerwehr in den letzten fünf Jahren um 13.000 auf 80.600 im Jahr 2008.

Doch allein der Zuwachs an Frauen, kann die Nachwuchssorgen nicht lösen. Daher haben Kampagnen neben den Frauen, Kindern und Jugendlichen auch „Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund“ als Zielgruppe im Visier. Der Auszehrung soll mit gezielten Anwerbungen im Migrantenmilieu entgegengewirkt werden.

Der Anteil von Migranten ist kaum wahrnehmbar

Denn im krassen Gegensatz zum demographischen Anteil an der Gesellschaft macht der Anteil an Feuerwehrleuten mit Migrationshintergrund derzeit gerade mal ein Prozent der Gesamtzahl aus. Grund für den DFV und die Deutsche Jugendfeuerwehr (DJF) das Thema Migrantenwerbung zum zentralen Kampagnenthema zu machen. Seit Herbst 2007 läuft auf DJF-Ebene das Integrationsprogramm „Unsere Welt ist bunt“– doch die Resonanz in Migrantenkreisen auf den ehrenamtlichen Feuerwehrdienst blieb bis dato gering.

Die Ursachen hierfür, sind nach Meinung des Sprechers der Feuerwehr Hannover, vielschichtig. Neben der „Unkenntnis“ über den Freiwilligen Feuerwehrdienst selbst, treffe man oft auf eine kulturspezifische „Abneigung gegen staatliche Organisationen“. Aber auch auf die Ängste mancher Eltern vor dem Alkoholkonsum seien nicht außer Acht zu lassen.

Neben den demographischen Faktoren spielt die veränderte Berufswelt eine entscheidende Rolle im Kampf um die Feuerwehrdienste. Die stetig steigende Mobilität der Arbeitnehmer, das zunehmende Pendeln zwischen Arbeitsplatz und Wohnort erschweren die Arbeit der örtlichen Wehren (Stichwort Tagesalarmbereitschaft). Zudem stellt die kontinuierlich notwendige Weiterbildung eine zusätzliche Belastung für bereits im Berufsleben geforderte Freiwillige dar. Auch daß es immer weniger junge Menschen gebe, die den hohen körperlichen Voraussetzungen gerecht werden, sei ein großes Problem, heißt es in Feuerwehrkreisen.

Eng wird es, wenn manchen Ehrenämtlern vermehrt von ihren Arbeitgebern untersagt wird, während ihrer Arbeitszeit den Arbeitsplatz wegen eines Feuerwehreinsatzes zu verlassen, obwohl dies den gesetzlichen Regelungen widerspricht. „Es gibt zunehmend Schwierigkeiten bei der Freistellung von Feuerwehrkräften im Einsatz“, erklärte nun DFV-Präsident Kröger, „die Situation hat sich in Deutschland verschärft“. Quintessenz: Bei Bränden und Unfällen müssen mittlerweile in manchen Gebieten Feuerwehren aus drei oder vier Orten alarmiert werden, um genügend Feuerwehrleute zusammenzubekommen.

„Beim Brandschutz müssen wir alles daransetzen, daß uns keine Strukturen wegbrechen“ erklärte dann auch Kanzlerin Angela Merkel auf dem Feuerwehrtag, der im Juni in Leipzig stattfand. Parallel dazu begrüßte die CDU-Vorsitzende die Initiativen von DFV und DJF, verstärkt auf Menschen mit Migrationshintergrund zuzugehen. Unter dem Hinweis darauf, daß rund die Hälfte aller neu eingeschulten Mädchen und Jungen einen Migrationshintergrund haben, sagte sie die Unterstützung der Bundesregierung zu. Es sei „von elementarer Wichtigkeit, Migranten Zugang in die Feuerwehr zu verschaffen“.

Doch die Worte der Kanzlerin halfen der Freiwilligen Feuerwehr Hannover nicht weiter. Um den „sozialen, demographischen und ethnischen Verformungen“, zu trotzen, setzt man alle Hebel in Bewegung. Neben den üblichen Werbemitteln (Handzettel, Plakate, T-Shirts und Werbung im Fernsehen der Verkehrsbetriebe), sind „jugendkompatible“ Medien ein wichtiger Teil der „Ehrensache“-Kampagne. Dazu gehört ein professioneller Internetauftritt und Filme auf der Videoplattform YouTube.

Der Draht zur SMS-Generation ist also gelegt. Es bleibt die Frage ob sie sich auch der Ehrensache annimmt. Erste Erfolge sind bereits zu vermelden. Im Zuge des Kampagnenstarts besuchten rund 35 Kinder den ersten „Übungsdienst“ der Ortsfeuerwehr Hannover-Davenstedt.

 

Bürgerschaftliches Engagement

36 Prozent der deutschen Bevölkerung sind freiwillig engagiert. Mehr als ein Drittel der Deutschen ist grundsätzlich bereit, ein Ehrenamt zu übernehmen. Das Ergebnis der dritten Freiwilligenbefragung, die TNS Infratest im Auftrag des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) durchgeführt hat, spricht für sich.

Doch der demographische Wandel und die Veränderung der Bevölkerungsstruktur werden auch beim Ehrenamt deutliche Spuren hinterlassen. Diagnosen gehen davon aus, daß die Alterung der Bevölkerung das Engagementpotential in den einzelnen Bereichen unterschiedlich stark beeinflussen werden. Entsprechend kann nur der soziale Bereich einen Zuwachs erwarten, alle anderen Bereiche werden Verluste erfahren. Besonders groß werden sie unter anderem bei der Freiwilligen Feuerwehr ausfallen.

Angaben der ersten Freiwilligenbefragung (2004) zeigen zudem, daß vor allem Migranten beim bürgerschaftlichen Engagement deutlich hinterherhinken. Menschen mit Migrationshintergrund haben eine Engagementquote von nur 23 Prozent – rund 13 Prozentpunkte unter dem Gesamtdurchschnitt – aufzuweisen.

 www.bmfsfj.de

 www.initiative-zivilengagement.de

 www.das-ist-doch-ehrensache.de

Foto: Feuerwehrmann nach dem Einsatz: Vielerorts wird immer mehr Last auf immer weniger Schultern verteilt

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