© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

Das Trauma des Krieges
Aus der Perspektive von einfachen Soldaten: Der preisgekrönte Film „Lebanon“
Martin Lichtmesz

Du bist inmitten schwarzer Finsternis und Verwirrung“, heißt es in dem alten Song „F.I.A.T.“ der legendären slowenischen Gruppe Laibach, „Du bist in einen Krieg getrickst und gezerrt worden, den du nicht verstehst und du weißt nichts über die Mächte, die ihn verursacht haben. Du solltest gar nicht in diesem Krieg sein.Du kannst diesen Krieg nicht gewinnen!“ Ähnlich ergeht es der vier Mann starken Besatzung eines israelischen Panzers in dem Film „Lebanon“, der bereits 2009 den Goldenen Löwen von Venedig gewann und nun auch in Deutschland in den Kinos zu sehen ist.

Ähnlich wie Ari Folman in seinem exzellenten Animations-Dokumentarfilm-Mix „Waltz with Bashir“ verarbeitete der 1962 geborene Regisseur Samuel Maoz ein Trauma seiner Jugend: Er war selbst Panzerschütze, als israelische Truppen im Juni 1982 in den Süden Libanons einfielen, um gegen Aktivitäten dort ansässiger PLO-Organisationen vorzugehen. Gleich am ersten Tag des Krieges muß Maoz einen Menschen töten, einen von vielen weiteren, die folgen sollten. Die Last dieser Erinnerungen begleitete den Regisseur über fünfundzwanzig Jahre hinweg. Wie viele Israelis betrachtet er den Libanonkrieg als das „Vietnam“ der Nation, das auch sein My Lai hatte: Im September des Kriegsjahres ermordeten die mit Israel verbündeten christlichen Falangisten in den Flüchtlingslagern von Sabra und Shatila mehrere hundert Palästinenser.

Maoz schildert nun den Krieg nicht nur aus der subjektiven Froschperspektive des einfachen Soldaten, sondern auch konsequent aus einem einzigen Schauplatz heraus: Beinah die gesamten 90 Minuten Laufzeit hindurch verläßt die Kamera niemals die klaustrophobische Enge des Panzerinneren, die noch bedrückender wirkt als der U-Boot-Raum in Wolfgang Petersens „Das Boot“, der sich an einem vergleichbar schwer zu filmenden Sujet versuchte.

In die stickige, dämmrige Dunkelheit des Panzers findet die Außenwelt nur Eingang durch einen zunehmend demolierten Fernrohrsucher. Dieser fährt mit einem mechanischen, steifen Ruck über das urbane Schlachtfeld voller Blut, Grauen und rauchender Trümmer. Im Fadenkreuz des Panzerschützen tauchen menschliche Gesichter auf, nah und in Großaufnahme, deren Anblick es erschwert, den tödlichen Abzug zu betätigen. Manchmal öffnet sich die Luke, und blendendes Tageslicht von oben fällt in die stählerne Höhle, während irgendwo weit oben im Himmel unsichtbare, todbringende Flugzeuge vorübersausen.

Die Besatzung des Panzers, unter ihnen das Alter ego des Regisseurs, mit schreckgeweiteten Augen am Teleskop sitzend, kann selbst kaum über das hinausblicken, was ihr von außen mitgeteilt und befohlen wird. Ihre Rolle ist kaum anders als die von menschlichen Maschinen, die möglichst reibungslos funktionieren sollen.

Von Zeit zu Zeit klettert der Führer einer Infanterietruppe, der der Panzer Rückendeckung geben soll, in das Cockpit und gibt strengen Blicks Befehle aus. Doch irgendwann zeigt sich, daß auch dieser kampferfahrene Offizier, der so zielorientiert, selbstsicher und kaltblütig wirkt, längst in dem Chaos des Häuserkampfes den Faden verloren hat, und kaum mehr einen Ausweg aus der verzweifelten Lage weiß, in die er und seine Männer geraten sind. Als zwei brutal und zwielichtig wirkende Falangisten auftauchen, die den Israelis helfen sollen, werfen die späteren Massaker ihre ersten Schatten voraus.

Zunehmend wird klar, daß die moralische Verantwortung und Schuldbarkeit des einzelnen Soldaten nur mit den grausamen Maßstäben des Krieges gemessen werden können. Eine Inschrift auf dem Armaturenbrett lautet: „Der Mann ist aus Stahl. Der Panzer ist nur aus Eisen.“ Dem sind die vier jungen Hauptprotagonisten kaum gewachsen.

Wer aber im entscheidenden Moment nicht rasch und entschlossen handelt, läuft Gefahr, noch größere Schuld auf sich zu laden. Bei seiner ersten Feindkonfrontation versagt der Schütze aus Angst und Nervosität; als er bei der nächsten Gelegenheit schließlich, ebenso nervös und panisch, verfrüht den Abzug drückt, jagt er lediglich den Wagen eines harmlosen arabischen Hühnerhändlers in die Luft. Dieser liegt verstümmelt und schreiend am Boden, der Kommandant des Infanterietrupps gibt ihm den Gnadenschuß. Kollateralschäden des Krieges, die auf dem Vormarsch ohne langes Fackeln ebenso in Kauf genommen werden, ja pragmatischerweise genommen werden müssen, wie Opfer aus den eigenen Reihen, die im friendly fire umkommen.

Wie Kathryn Bigelow in ihrem oscargekrönten Irak-Drama „The Hurt Locker“ (Tödliches Kommando, 2009) hält sich Samuel Maoz an die unmittelbare, physische Erfahrung der Soldaten. Die übergeordnete politische und strategische Wirklichkeit des Krieges wird weitgehend ausgeblendet, wie sie es auch für den einzelnen Befehlsempfänger sein muß, der sonst innerhalb der Maschinerie nicht funktionieren kann. Daß er dadurch sein Menschsein aber nicht gänzlich verlieren kann und aus dem Trauma des Krieges mit physischen und psychischen Narben zurückkehren muß, zeigt „Lebanon“ mit eindrucksvoller, realistischer Intensität, ohne jemals in einen predigenden oder moralisierenden Tonfall zu verfallen. Über den konkreten historischen Anlaß hinaus ist Maoz ein Drama von universeller Gültigkeit gelungen.

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