© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

Stuttgart 21 zeigt, daß das repräsentative System versagt
Mehr direkte Demokratie
Dieter Stein

Offenkundig vereint der Protest gegen das Großprojekt „Stuttgart 21“ Bürger aller politischen Richtungen. Sicherlich instrumentalisieren linke Kräfte den Protest, sie sind aber nicht der entscheidende Faktor. Zunächst als lokaler Konflikt unterschätzt, ist die Auseinandersetzung um die Realisierung dieses Bauvorhabens längst zu einem Symbol der Arroganz und des Unvermögens der Politik geworden, Bürger in Planungsvorhaben offen einzubeziehen und diese ausreichend transparent zu machen. Die Legalität von Entscheidungsprozessen in der repräsentativen Demokratie erlangt in den Augen der Bürger immer weniger Legitimität.

Was ist der Ausweg? In Stuttgart liefern sich seit Wochen Gegner und Befürworter eine Propagandaschlacht. Zunächst dominierten allein die Gegner die Szene, die Politik reagierte mit polizeilicher Härte, es entstanden Bilder verletzter Demonstranten, die den Konflikt emotionalisierten. Inzwischen mobilisieren die Befürworter ebenso auf den Straßen wie im Internet. Jetzt vermittelt Heiner Geißler. Das Ergebnis des Tauziehens ist offen, könnte aber zu erneut nebulösen Kompromissen führen, deren Akzeptanz strittig bleibt.

Es führt deshalb kein Weg daran vorbei, daß Deutschland endlich andere Formen direkter Mitwirkung realisiert. In den letzten Jahren sind hier auf Länderebene Fortschritte erreicht worden – doch sie gehen eindeutig nicht weit genug. Wer glaubt, Volksabstimmungen und direkte Mitwirkung der Bürger lösten Anarchie und Chaos aus, täuscht sich. Im Gegenteil: Die Schweiz mit ihrer liberalen Praxis direkter Demokratie ist längst zu einem Leuchtturm der Freiheit in Europa geworden. Keineswegs werden dort notwendige Infrastrukturmaßnahmen und Großprojekte ständig verhindert. Die Entscheidungsfindung ist jedoch transparenter. Die Eidgenossenschaft ist damit einer der innovativsten und modernsten Industriestandorte Europas und dank Abstimmung über Steuergesetze auch mit härterer Budgetkontrolle gesegnet.

So bringen die Schweizer in Volksabstimmungen regelmäßig auch illusionäre linke Projekte zu Fall. Dies wurde jüngst bei einer Abstimmung zum Bau von Minaretten deutlich. Im November findet eine Volksbefragung zur Abschiebung krimineller Ausländer statt. Vor allem aber wird die Allmacht der Parteien zurückgeschnitten – ein überfälliger Reformschritt für Deutschland. Es ist dabei übrigens nicht gesagt, daß die Gegner von Stuttgart 21 bei einer Volksabstimmung des Sieges gewiß sein dürften. Der Friede wäre jedoch wiederhergestellt. Andere ideologische Großprojekte wären aber sicherlich gescheitert: Die Abschaffung der harten Deutschen Mark und die ungebremste Zuwanderung nach Deutschland – sie wären bei einer direkten Befragung der Bürger so nie durchsetzbar gewesen. Es ist also höchste Zeit für mehr Freiheit und Demokratie in Deutschland!

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