© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Guttenberg und die Enten
Paul Rosen

Neulich, beim Entenfüttern an der Spree zwischen Bundestagskindergarten und Paul-Löbe-Haus, haben wir einen altgedienten Mitarbeiter der Unionsfraktion getroffen. Vorsitzende, Vorstände und Kabinette hatte er kommen und gehen sehen. Die Gerüchte waren schon in Bonn so zahlreich wie heute in Berlin. Damals gab es noch kein Frühstücksfernsehen, sinniert er in seinen „Coffee-to-go”, dafür aber Cafés, wo der Kaffee noch seinen Namen verdiente. Etwa 1988 müsse das gewesen sein, erinnert er sich. Da wurden Namen zunächst geflüstert und dann in den Zeitungen, die damals noch eifrig gelesen wurden, öffentlich gehandelt: Lothar Späth, dieser elegante und etwas zu glatte Ministerpräsident von Baden-Württemberg, stand in Verdacht, Kanzler Helmut Kohl stürzen und sich selbst an dessen Stelle setzen zu wollen. Von Heiner Geißler war viel die Rede, der damals noch kein Schlichter im Bahnhof, sondern mehr Kämpfer war. Und von Rita Süssmuth, der der Vorsitz im Bundestag nicht reichte. Alle wollten sie höher hinauf.

Es sei anders gekommen, erinnert sich unser Gesprächspartner, während die Enten einen lautstarken Streit um die letzten Krümel anfangen. Helmut Kohl gewann die nächsten Wahlen mit der deutschen Einheit, und von seinen Rivalen sprach kein Mensch mehr. Neue Gesichter seien in Bonn aufgetaucht, darunter das eines unscheinbar wirkenden Mädchens, das sich die Haare selbst zu schneiden schien. Keine Rede davon, daß diese Quoten-Ossi-Frau jemals Karriere machen könnte. „Und dennoch: Wer ist heute Kanzlerin?“ fragt er so laut, daß die Enten verängstigt flüchten.

Bild-Zeitung, Frühstücksfernsehen, Radiosender und andere Medien überschlagen sich in diesen Tagen, um Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) von allen Seiten zu beleuchten. Es solle inzwischen regelrechte „Guttenberg-Experten“ geben, die auch unter dieser Bezeichnung im Frühstücksfernsehen eingeblendet worden seien. Die wüßten jeden noch so verschwurbelten Satz des rede-, aber nicht sprachgewandten Ministers aus Bayern richtig zu deuten, spottet unser Gesprächspartner. Und erst Frau von Guttenberg! Ein entzückender Anblick jeden zweiten Tag auf der Titelseite der Bild-Zeitung. Seit von Weizsäcker, dessen Familie für den Beweis der Sarrazinschen These von der Erblichkeit der Intelligenz stehe, wisse man, wovon das Volk träume: Ein möglichst gutaussehender Adeliger mit einer noch besser aussehenden Frau an der Seite solle an der Spitze des Staates stehen. Die heimliche Liebe des deutschen Michel zu Seiner Majestät, egal wie sie nun heißen möge, sei ungebrochen. Hilfsweise brächen die TV-Hochzeiten europäischer Thronfolgerpaare in Deutschland alle Einschaltrekorde.

Träume seien Schäume. Unser Unionsmann wird zum Zyniker. Märchenprinzen bekomme man nicht mal eben so dahingestellt. Wenn der Traum vorbei sei, heiße die Realität wieder Angela Merkel. Oder Ronald Pofalla. Oder Hermann Gröhe. Oder Peter Hintze. Oder Norbert Röttgen. Oder ...

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