© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

„Präsident unter Druck“
Den US-Demokraten droht am Dienstag eine schwere Wahlniederlage. Ist Barack Obama damit am Ende?
Moritz Schwarz

Herr Professor Ikenberry, in den USA stehen die sogenannten „Midterm“-Kongreßwahlen vor der Tür und der einstige Hoffnungsträger Barack Obama ist unbeliebt wie nie. Wie konnte das passieren?

Ikenberry: Ich weiß, zahlreiche Medien berichten ausführlich über die Enttäuschung ehemaliger Obama-Anhänger. Aber es ist nicht richtig, wenn der Eindruck erweckt wird, daß die Amerikaner ihn reihenweise ablehnen.

„‘Yes we can’ erweist sich nun lediglich als dummer Spruch“, meinte ein 21 Jahre alter ehemaliger Obama-Wähler unlängst gegenüber einem deutschen Journalisten.

Ikenberry: Natürlich stimmt es, daß Barack Obama nicht mehr diese Traumzustimmung genießt, wie zur Zeit seiner Wahl im November 2008. Da wurden in der Tat unerfüllbare Erwartungen aufgebaut. Die Amerikaner waren der Bush-Jahre müde, es gab diesen Hunger nach einem Neubeginn, der dazu führte, daß eine wahnwitzige Erwartung entstand, Obama würde ein neues Zeitalter einleiten. Aber welcher politisch denkende Mensch konnte das ernstnehmen?

In Deutschland, wo Obama immer noch populär ist, sind das bis heute viele.

Ikenberry: Enttäuscht sind vielleicht all jene, für die er ein Heilsbringer und nicht einfach ein Kandidat mit einem alternativen Programm war.

Ist Obama gescheitert?

Ikenberry: Vielleicht als Messias, aber nicht als Politiker.

Inwiefern?

Ikenberry: Als Politikwissenschaftler muß man anerkennen, daß sich seine politische Bilanz durchaus sehen lassen kann, egal ob man seine Maßnahmen für gut oder schlecht hält. Selbst die oppositionelle Tea-Party-Bewegung billigt ihm ja zu, daß er etwas geschafft hat – wenn auch in ihren Augen zum Schlechten. Für sie ist er vielleicht ein schlimmer Sozialist, aber kein Versager.

Obama selbst reflektiert durchaus nachdenklich seinen Ansehensverlust: Wahlkampf sei Poesie, Regieren Prosa, hat er jüngst eingeräumt.

Ikenberry: Obamas Problem ist, daß er es nicht vermocht hat, die große „Oba-ma-Erzählung“ fortzusetzen: die Vision von dem Mann, der dem Land den Weg weist. Aber das zeigt um so mehr, daß das ganze eine Frage der Stimmungslage ist und nichts darüber aussagt, was er wirklich politisch bewegt hat.

Zum erstenmal hat Obama die Mehrheit in den Meinungsumfragen verloren, laut einer Gallup-Erhebung genießt er nur noch 49 Prozent Zustimmung.

Ikenberry: Das hat vor allem mit der Wirtschaft zu tun, die er nicht wirklich in Schwung gekriegt hat. In den USA bestimmt meist die wirtschaftliche Lage die Politik. Wenn es da nicht stimmt, gerät jeder Präsident unter Druck.

Den Prognosen zufolge werden die Demokraten die Wahl am Dienstag verlieren.

Ikenberry: Es stimmt, die Republikaner haben sich seit ihrer Niederlage bei den letzten Kongreßwahlen 2008 gut erholt. Aber das ist in den USA nichts Ungewöhnliches, wenn eine Partei in der Opposition ist. Vor allem dann, wenn wegen der Wirtschaft die Partei des Präsidenten nicht reüssieren kann. Erfahrungsgemäß verliert die Regierungspartei sogar dann Sitze im Kongreß, wenn die Wirtschaft gut läuft. Zugegeben, diesmal werden die Verluste vermutlich erheblich sein, und die Republikaner werden wohl das Repräsentantenhaus gewinnen.

Seit über fünfzig Jahren hat – außer Bill Clinton – kein demokratischer Präsident die „Midterm“-Wahlen verloren.

Ikenberry: Und dabei hat Clinton dennoch die Wiederwahl geschafft, war der erste Demokrat seit Franklin D. Roosevelt, der zwei volle Amtsperioden absolviert hat. Natürlich wäre eine Niederlage der Demokraten für Obama enttäuschend. Aber Tatsache ist, daß er die Wirtschaftsdepression aufgehalten, die US-Autoindustrie gerettet, eine Antwort an die Adresse der Finanzwirtschaft entwickelt, die uns hoffentlich weitere Finanzkrisen ersparen wird, und er die Gesundheitsreform begonnen hat. Oba-ma leidet darunter, daß es ihm nicht gelungen ist, diese Erfolge auch dem Bürger zu vermitteln. Statt dessen hat sich die Opposition als sehr effektiv darin erwiesen, von ihm das Bild des „Big Government“-Sozialisten zu zeichnen.

„Obamas demokratische Ära ist bereits zu Ende“ – das schreibt kein rechter Tea-Party-Patriot, sondern William Galston von der liberalen Brookings Institution.

Ikenberry: Nein, ich sehe keinen Grund warum das so sein sollte. Im Gegegenteil, ich vermute sogar, daß wir einer weiteren Dekade unter demokratischer Führerschaft entgegengehen könnten.

Wie kommen Sie denn darauf?

Ikenberry: Bob Herbert schrieb unlängst in der New York Times, das Problem Obamas sei weniger seine Politik, als der Eindruck der meisten Amerikaner, daß ihr Land auch unter ihm in schlechter Verfassung sei. Was die Amerikaner sich wünschen, ist ein Entwurf, ein amerikanischer Führer für das 21. Jahrhundert, ist Optimismus, amerikanischer Geist, die Hoffnung, daß die Zukunft Amerika und seinen Verbündeten gehört. Wenn es Obama zum Beispiel gelingt, diesen Traum wieder lebendig zu machen, kann er die Wechselwähler ohne weiteres bis 2012 zurückgewinnen. 

Allerdings, die „Yes we can“-Bewegung ist doch tot.

Ikenberry: Stimmt, aber andererseits driftet die Opposition derzeit stark nach rechts, die Republikaner haben inzwischen nur noch wenige profilierte zentristische Figuren, also Leute, die eher die politische Mitte einbinden. Genau das aber ist die strategische Kapazität, die die Parteien brauchen, um langfristig nationale Wahlen gewinnen zu können.

Moment – es sind die konservativen Tea-Party-Patrioten, die derzeit die politische Landschaft der USA aufrollen!

Ikenberry: Die Kraft und die Energie, die die Rechte dergestalt zu entfalten vermag, ist in der Tat erstaunlich. Definitiv entwickelt sie zur Zeit weit mehr Potential als die Linke oder das Zentrum. Aber es fehlt dieser Bewegung strategisch an kohärenten Ideen. Die Tea-Party-Bewegung ist doch sehr heterogen, und die Frage ist, wer dieses wirre Bündnis bei einer Wahl als Kandidat politisch repräsentieren könnte.

Sarah Palin.

Ikenberry: Das glaube ich nicht, bzw. vielleicht wird es so kommen, aber mit ihr hätten sie keinen Erfolg. Denn Palin ist niemand, der außer bei den eigenen  unbedingten Anhängern akzeptiert wird. Sie mag die unausgesprochene Führerin der Tea-Party-Bewegung sein, aber mehr wird sie vermutlich nie werden.

Es ist jedoch auch nicht die Tea Party selbst, die am Dienstag vermutlich die Wahl gewinnt, sondern die Republikaner – allerdings mit deren Rückenwind.

Ikenberry: Stimmt, aber die Präsidentschaftswahl 2012 folgt doch anderen Gesetzen. Da ist es entscheidend, daß die Partei bis dahin einen geeigneten Herausforderer findet, und das halte ich angesichts der Selbstblockade, in die sich die Republikaner durch ihr Einschwenken auf die Tea-Party-Bewegung begeben haben, für fraglich.

Konkret?

Ikenberry: Die Tea-Party-Bewegung repräsentiert politisch etwa zwischen zwanzig und dreißig Prozent der Amerikaner. Aber selbst dreißig Prozent ist noch weit entfernt von den 51 Prozent, die man für eine Mehrheit braucht. Die Tea Party verkörpert durchaus populäre Themen, wie etwa die Forderung nach Limited Government, also das Zurückdrängen des Regierungseinflusses, aber sie steht auch für Inhalte wie die Kritik an der Klimapolitik oder eine fundamentale Opposition gegen eine Gesundheitsreform. Doch das sind Positionen, die in der Mitte kaum auf Zustimmung stoßen. Zugegeben, die Präsenz der Tea-Party-Bewegung ist enorm, aber sie ist dennoch weit davon entfernt, die Mehrheit zu gewinnen. Daß es mitunter dennoch so aussieht, ist der Presse geschuldet: Weil die Bewegung so laut ist, ist sie ständig in den Medien, und so mag ein Bild der Omnipräsenz entstehen, das jedoch nicht ihrer wahren Akzeptanz im Volk entspricht. Trotz allem ist die Tea-Party-Bewegung nicht das politische Gravitationszentrum der USA.

Sondern?

Ikenberry: Das ist nach wie vor die politische Mitte. Das heißt nicht, daß sie bei Obama ist, derzeit hat er die Mitte definitiv nicht in der Tasche, aber sie ist definitiv auch nicht auf der Rechten.

Vielleicht gelingt es der Tea Party nicht, das Gravitationszentrum zu besetzen, aber doch zumindest zu verschieben?

Ikenberry: Das ist das, was sie versuchen. Aber können sie das? Natürlich, endgültig wissen werden wir das erst nach der Wahl 2012, aber wenn Sie mich fragen: Ich glaube es nicht. Lassen Sie mich Ihnen erklären, wie in den USA nationale Wahlen gewonnen werden: Nehmen Sie zum Beispiel Obamas Haltung in der Gesundheitsfrage. Diese entsprach etwa der Mitt Romneys, eines Exponenten aus dem gemäßigten Republikaner-Lager. Es ist also wichtig, die Themen zu besetzen, die sowohl eine Basis im eigenen Lager haben, wie auch darüber hinaus wirken können. Die Tea-Party-Bewegung blockiert sich wie gesagt in dieser Hinsicht selbst. Und da die Republikaner sich derzeit ganz dem Druck der Tea Party ergeben haben, fehlt es ihnen nun an Persönlichkeiten, die genau für solche Inhalte stehen.

Immerhin können sie so offenbar die „Midterm“-Wahlen gewinnen.

Ikenberry: Nochmal: „Midterm“-Wahlen sind keine nationalen Wahlen, und derzeit dominiert die Enttäuschung über die Wirtschaftskrise die Wahl – das ist eben die Stunde der Opposition.

Nach dem Auftauchen der Tea-Party-Patrioten im Frühjahr lud Obama Historiker zu einem Abendessen ins Weiße Haus, um von ihnen zu erfahren, ob es eine historische Erklärung für dieses Phänomen gebe. Sie konnten dem Präsidenten aber keine befriedigende Antwort geben.

Ikenberry: In der Tat, der Demokrat Clinton etwa regierte acht Jahre, ohne daß eine solche Bewegung entstanden ist. Warum also jetzt? Ich vermute, es hat weniger etwas mit der Person Clintons oder Obamas zu tun, als mit den Umständen: Die neunziger Jahre Bill Clintons waren weit weniger stark von Verunsicherung geprägt als unsere Tage jetzt: Das war noch vor dem 11. September 2001, vor dem „Krieg gegen den Terror“, vor der großen Wirtschaftskrise, vor dem Auftauchen neuer Akteure wie China. Im Gegenteil, die Sowjetunion war gerade zerfallen, den Golfkrieg 1991 hatte man klar gewonnen, die Wirtschaft schien stabil – die Stimmung damals war eine ganz andere, nicht zu vergleichen.

Wenn die Demokraten am Dienstag verlieren, wird Obama eine „lame duck“, eine „lahme Ente“ sein, also ein Präsident, der keine Mehrheit mehr im Parlament hat.

Ikenberry: Nach der Wahl beginnt zweifellos eine neue Phase der Politik, das „divided Government“, also die geteilte Regierungsmacht. Denn einerseits  hat der Präsident dann in der Tat keine Mehrheit mehr, andererseits können es sich die Republikaner aber auch nicht leisten, einfach alles abzublocken, ohne als Blockierer dazustehen. So werden die kommenden zwei Jahre von intensiven Auseinandersetzungen um die richtige Politik im Zuge der geteilten Regierungsmacht geprägt sein. Wer diesen Kampf bis zur Präsidentschaftswahl 2012 zu seinen Gunsten entscheiden können wird, darauf dürfen wir höchst gespannt sein.

 

Prof. Dr. G. John Ikenberry, war unter Präsident George Bush von 1991 bis 1992 Mitglied des Planungsstabs im US-State Department. Heute lehrt der Politikwissenschaftler am Woodrow-Wilson-Institut der amerikanischen Elite-Universität Princeton. Er veröffentlicht in zahlreichen Zeitschriften wie Newsweek, International Herald Tribune oder Washington Post und publizierte über ein Dutzend Bücher. 2011 erscheint „Liberal Leviathan: The Origins, Crisis and Transformation of the American System“ (Princeton University Press).

Am 2. November finden in den USA die Parlamentswahlen statt. Dabei werden alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses, der ersten Kammer des Kongresses, sowie 37 der 100 Sitze des Senates, der zweiten Kammer, neu besetzt. Gewählt wird alle zwei Jahre, immer im Jahr mit gerader Zahl. Fällt die Wahl, wie jetzt, in die Hälfte der Amtszeit des US-Präsidenten, spricht man von „Midterm-Elections“, im Gegensatz zu den Parlamentswahlen, die parallel zur Präsidentschaftswahl stattfinden.

Foto: Wahlkampf in den USA: „Die Kraft und die Energie, die die Rechte derzeit zu entfalten vermag, ist erstaunlich. Die Frage ist, wer dieses Bündnis politisch repräsentieren könnte.“

 

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