© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

Eine Vertreibung unter vielen
Geschichtspolitik: Das Konzept des Vertriebenenzentrums
Bernhard Knapstein

Der Direktor der Stiftung Flucht Vertreibung, Versöhnung, Manfred Kittel, hat am Montag die lange erwartete Konzeption für die geplante Dauerausstellung im Berliner Deutschlandhaus vorgestellt. Das Konzept bildet die Grundlage für die weitere Entwicklung der inhaltlichen Arbeit von Ausstellung und Dokumentationsstätte. Das Vertriebenenzentrum soll nach dem neuen Konzept dazu beitragen, daß Flucht, Vertreibung und Zwangsmigration im kollektiven Gedächtnis der Deutschen und Europäer ein angemessener Platz eingeräumt wird.

Leitlinien sind die Erinnerung an und die Ächtung von Vertreibungen sowie die Expansions- und Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus als Voraussetzung für Flucht und Vertreibung der Deutschen zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Flucht und Vertreibung der Deutschen sollen eingebettet in weitere dreißig europäische Vertreibungen einen Hauptakzent der Ausstellung bilden. Die Stiftung will dabei nach eigenen Angaben aufgrund der verschiedenen politischen und ideologischen Kontexte den rein additiven Vergleich der Vertreibungen vermeiden und den fundamentalen Unterschied zwischen „ethnischer Säuberung“ und Genozid herausarbeiten. Auch sollen die unterschiedlichen nationalen Perspektiven und Erfahrungshorizonte dargestellt werden.

Der Zugang zum Thema werde zum einen durch einen chronologischen Rundgang vom Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart erfolgen. Außerdem sollen Fallstudien zu einzelnen Regionen Mittel-, Ost- und Südeuropas etwa am Beispiel des Streits um die staatliche Zugehörigkeit Oberschlesiens nach 1918 in den Rundgang integriert werden. Eine weitere Ebene bilden persönliche Erlebnisse und ihre spätere Verarbeitung, die in audiovisueller Form und durch klassisch museale Objekte dem Betrachter nahegebracht werden.

In der so vorgestellten Ausstellungskonzeption wird das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen zwar wohl mit im Zentrum stehen, aber unmißverständlich auch eingefaßt sein in die Geschichte der nationalsozialistischen Umsiedlungs-, Deportations- und Vernichtungspolitik. Die Konzeption benennt in diesem Kontext das Fallbeispiel der Stadt Lodz. Die polnische Stadt war nach ihrer Annexion ab 1940 einziges reichsdeutsches Großghetto für europäische Juden, Zwischenstation für Massentransporte nach Auschwitz und Kulmhof, Sitz der Einwandererzentralstelle und eines Umsiedlerlagers für Volksdeutsche sowie Sitz der Umwandererzentralstelle für die vertriebene polnische Zivilbevölkerung. Ob die in der Konzeption konkret genannten Fallbeispiele tatsächlich in die Ausstellung einfließen, hängt wohl aber auch vom Vorhandensein entsprechender Dokumente und Artefakte ab.

Die vorgestellte Konzeption berücksichtigt alle mehr oder weniger sachlich vorgetragenen Kritiken, wie etwa die Frage nach der Bedeutung der nationalsozialistischen Verbrechen als Voraussetzung für die spätere Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa. Dies hat indessen auch schon die Wanderausstellung „Erzwungene Wege. Flucht und Vertreibungen im Europa des 20. Jahrhunderts“ der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen aus dem Jahr 2006 berücksichtigt. Ob es der Stiftung angesichts der geplanten Ursache-Wirkung-Darstellung auch gelingen wird, die Ächtung von Vertreibung zu vermitteln, wird erst die Ausstellung selbst offenbaren.

Zahlreiche Angriffe aus dem linken Lager

Es ist zehn Jahre her, daß Erika Steinbachs Bund der Vertriebenen (BdV) die Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen ins Leben rief, um eine Dokumentationsstätte für das Schicksal und Kulturerbe der deutschen Heimatvertriebenen in Berlin einzurichten. Die Große Koalition hatte 2005 auf das Vertriebenenprojekt reagiert und 60 Jahre nach Flucht und Vertreibung von Millionen Deutschen im Koalitionsvertrag beschlossen, „im Geiste der Versöhnung in Berlin ein sichtbares Zeichen“ zu setzen, um im europäischen Kontext an das Unrecht von Vertreibungen zu erinnern und Vertreibung für immer zu ächten. Die in der Folge gegründete Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Angriffe aus dem linkspolitischen Lager zu bestehen gehabt. Die Personalie Erika Steinbach stand dabei immer wieder im Zentrum der Kritik. Es war letztlich Guido Westerwelle (FDP), der der Linken in Deutschland und den nationalistischen Kräften in Polen, die sich gegen eine deutsche und europäische Erinnerungskultur auch für deutsche Vertreibungsopfer formiert hatten, den Weg bereitete. Steinbach mußte schließlich auf ihren Sitz im Stiftungsrat verzichten.

Mit der nun vorgelegten Konzeption hat die Stiftung einen wichtigen Schritt zur Realisierung der Dauerausstellung getan, auch wenn Kritiker wohl weiterhin nicht verstummen werden. Im Stiftungsrat sind dies Wolfgang Thierse, der den organisierten Heimatvertriebenen ein Mitspracherecht abgesprochen hat, und Salomon Korn, der, wie ein Kenner des Projekts urteilt, „eine zweite Shoa-Dokumentationsstätte wünscht, in der die Darstellung der Vertreibung der Deutschen zur Marginalie“ wird. Stiftungsdirektor Kittel sieht sich indessen bestätigt: „Die bisherigen Kontroversen um die Stiftung sind vielleicht der beste Beweis für ihre Notwendigkeit.“

Die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung im Internet  www.sfvv.de

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