© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

Verängstigt und verärgert
USA: Präsident Obama droht seine Mehrheit im Kongreß zu verlieren / Allgemeine Desillusion über Demokraten und Republikaner
Elliot Neaman

Vor kurzem witzelte der beliebte Talkshow-Moderator David Letterman: „Die Leute sagen, Obama sei an allem schuld, er hat uns nicht schnell genug aus Bushs Rezession und seinen zwei Kriegen rausgeholt.“ Doch wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen, und für den US-Präsidenten und seine Partei gibt es zwei Wochen vor den Kongreßwahlen wenig genug zu lachen.

Katastrophale Wirtschaftsdaten

Die Zahlen sprechen für sich. Gallup-Umfragen zufolge war im September die Wahlbegeisterung unter eher den Republikanern zuneigenden Stimmberechtigten doppelt so hoch wie bei ihren eher demokratisch gesinnten Mitbürgern. Stimmungsbarometer räumen den Republikanern einen Vorsprung von zwölf Prozent ein. Die Republikaner dürften mindestens 40 Kongreßsitze hinzugewinnen. Von den 435 Sitzen im Repräsentantenhaus sind 198 den Demokraten und 197 den Republikanern mehr oder minder sicher, bei den übrigen vierzig ist der Wahlausgang offen. Im Senat, wo die Demokraten gegenwärtig 57, die Republikaner 41 Sitze innehaben und die beiden parteilosen Mitglieder meistens mit den Demokraten stimmen, wird den Republikanern ein Zugewinn von sieben bis neun Sitzen zugetraut. Wenn es dabei bleibt, behielten die Demokraten denkbar knapp die Oberhand.

Zwei Jahre nach dem historischen Sieg des ersten schwarzen US-Präsidenten, der doch vermeintlich eine neue Ära einläuten sollte, fragen sich nicht wenige, wie der diesem Anfang innewohnende Zauber so schnell verfliegen konnte. Die Standardantwort lautet, daß hauptsächlich die nach wie vor miserable Wirtschaftslage für Obamas Probleme verantwortlich zu machen sei.

Ein Blick auf die Geschichte zeigt, daß die Wirtschaftsdaten tatsächlich seit jeher einen starken Einfluß auf Wahlergebnisse haben. Dabei darf aber auch nicht vergessen werden, welch unerfüllbar hohe Erwartungen einst in Obama gesetzt wurden. Das zeigte nicht zuletzt der Nobelpreis, der ihm für Verdienste verliehen wurde, die er sich erst noch erwerben sollte. Schließlich nährte Obamas eigene Rhetorik von Konsens und Kooperation den Glauben seiner Anhänger an seine geradezu messianischen Kräfte und die Hoffnung, er könne die kaputte Wirtschaft heilen und das Land von zwei Kriegen erlösen.

Der amerikanische Traum ist eine Fata Morgana

Die eigentliche Frage lautet nicht, wieso Obamas Heiligenschein seinen Glanz so schnell verlor, sondern vielmehr, wie sich der kometenhafte Aufstieg der Tea-Party-Bewegung erklären läßt. Und wieso versandete der demokratische Triumph so schnell in allgemeiner Desillusion? Die Antwort darauf mag überraschend klingen: China.

Der Journalist Joe Klein unternahm kürzlich eine Reise durch die geographische und politische Mitte Amerikas. Er ließ sozusagen das liberale Kalifornien links und den konservativen tiefen Süden rechts liegen und sprach mit Durchschnittsbürgern in Arizona, im Mittleren Westen und um die Großen Seen herum. Zu seinem Erstaunen waren seine Gesprächspartner weitaus eher geneigt, über China zu reden als über Afghanistan. Während der wütende Protest der Tea Party lautstark die Schlagzeilen dominiert, gaben sich die Menschen, denen Klein unterwegs begegnete, eher verängstigt als verärgert.

 Woche für Woche, so scheint es, bringen die Medien eine neue Horrorgeschichte über den unaufhaltsamen Aufstieg der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt und den gleichzeitigen Niedergang der USA.  Während die USA sich den Versuch, den Irak zu stabilisieren, über sechzig Milliarden Dollar kosten ließen und nun weitere Milliarden in Afghanistan ausgeben, bleibt die Infrastruktur im eigenen Land auf der Strecke – Straßen, Brücken und Häfen sind in desolatem Zustand. Ganz anders China, das gerade einen gigantischen Modernisierungsprozeß durchläuft. Die Amerikaner müssen hilflos zusehen, wie mehr und mehr Arbeitsplätze ins Ausland abwandern und im eigenen Land nur die Schuldenberge wachsen und ihre Zukunft an ausländische Gläubiger verpfändet wird.

Keine der beiden großen politischen Parteien scheint dieser Entwicklung irgend etwas entgegenzusetzen zu haben. Bei aller Bewunderung für Obama trauen die meisten Wähler ihm nicht (mehr) zu, Lösungen für diese Probleme zu haben. Viele politische Beobachter halten die allgemeine Desillusion für so stark, daß sie bei den Präsidentschaftswahlen 2012 sogar einer dritten Partei eine reelle Chance einräumen.

Unter den Jungwählern, die Obama im Jahr 2008 mit soviel Enthusiasmus in den Sattel hoben, ist die Enttäuschung wohl am größten. Der sogenannte amerikanische Traum der unbegrenzten Möglichkeiten erweist sich für ihre Generation zunehmend als Fata Morgana. Auch ihre Eltern können den gewohnten Lebensstandard nur mit Mühe aufrechterhalten und stehen vor der unerfreulichen Aussicht, weit über ihren geplanten Ruhestand hinaus arbeiten zu müssen.

Nach dem 2. November wird die politische Landschaft der USA anders aussehen. Mit einer republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus wird John Boehner aus Ohio Obamas zuverlässige Stimmenholerin Nancy Pelosi als Mehrheitsführer ablösen, und im Senat wird Mitch McConnell Gesetze durch das sogenannte Filibuster-Verfahren (ungebremster Redeschwall) blockieren können. Schon kursieren Gerüchte, denen zufolge Hillary Clinton Joe Biden als Vizepräsident ablösen könnte – ein eindeutiges Zeichen, wie verzweifelt die Demokraten mittlerweile sind. Ihre einzige Hoffnung besteht darin, daß die Republikaner 2012 ihrerseits für die Verantwortung abgestraft werden könnten, die sie nun übernehmen müssen.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.

Foto: US-Präsident Obama: Für alle Probleme verantwortlich gemacht

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