© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

Frankreich will keine ICE-Züge im Eurotunnel fahren lassen
Zwei Monopole wanken
Klaus Peter Krause

Der französische Staat ist nicht zimperlich darin, seine Wirtschaftsinteressen auch gegen Wettbewerbsregeln durchzusetzen. So betreibt das Passagiergeschäft durch den Eurotunnel unter dem Ärmelkanal bisher allein die Eurostar Group, die mehrheitlich der französischen Staatsbahn SNCF gehört.

Aber bei der Ausschreibung für zehn neue Schnellzüge gab Eurostar nicht der französischen Alstom mit dem TGV den Zuschlag, die für die Tunnelzüge bisher ein Monopol hat, sondern der deutschen Siemens AG mit den ICE-Zügen. Frankreichs Regierung schäumt, und Alstom will den Zuschlag gerichtlich für null und nichtig erklären lassen. Denn wenn Eurostar demnächst auch deutsche ICE-Züge durch den Eurotunnel schickt, kann und will das auch die Deutsche Bahn (DB) mit ihren eigenen ICE-Zügen direkt selbst tun.

Damit gingen gleich zwei Monopole verloren: ein Strecken- und ein Liefermonopol. Denn erstens ließe nicht mehr nur Eurostar Züge nach London fahren, sondern auch die DB, und zweitens dürften nicht mehr nur französische Alstom-Züge den Kanaltunnel passieren, sondern auch deutsche Siemens-Züge. Frankreich versucht, beide Monopole zu erhalten, und schießt Sperrfeuer. Unterstützung findet die DB bei der Gesellschaft Eurotunnel, die den Tunnel betreibt und dort für die Strecke und Sicherheit zuständig ist. Die nämlich will die Strecke besser auslasten und auch andere Beförderer mit anderen Zügen zugelassen sehen. So, wie französische Autos auch über deutsche Straßen rollen dürfen und umgekehrt deutsche über französische, so muß auch die DB den Kanaltunnel mit Zügen aus deutscher Fertigung benutzen dürfen. Nur verkehrssicher müssen sie alle sein – die Autos und die Züge.

Was Nicolas Sarkozys Regierung zu verhindern sucht, ist die bekannte französische Industriepolitik und staatlicher Protektionismus pur. Das ordnungspolitische Konzept mit Marktwirtschaft und Wettbewerbsfreiheit mögen französische Regierungen nun einmal nicht, wenn es ihre politischen Interessen stört und französische Unternehmen oder Branchen im Wettbewerb den kürzeren ziehen. Damit stehen sie keineswegs allein. Neben Politikern anderer Staaten sind auch deutsche Regierende ordnungspolitische Sünder, zum Beispiel beim Retten von gescheiterten Banken und Unternehmen, wenn sie nur groß genug sind.

Was das ordnungspolitische Konzept für das Wirtschaftsleben anempfiehlt, wird gerade dann, wenn es auf seine Anwendung besonders ankommt, als überaus lästig gern beiseite geschoben, zumal wenn staatlich beherrschte Unternehmen mit von der Partie sind. Die „reine Lehre“, so müssen wir uns anhören, sei in diesem Fall nicht sonderlich hilfreich. Aber gerade dann wäre sie es ganz besonders. Der gefährlichste Störfaktor für den Wettbewerb ist der Staat – nicht nur in der EU.

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