© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

Käfig unter freiem Himmel
Ezra Pound: Der Dichter mußte als Sündenbock für die Verfehlungen seiner Zeit herhalten
Martin Lichtmesz

Um die Kunst, Dichtung zu schreiben wie zu lesen, ist es heute im allgemeinen eher schlecht bestellt. Hölderlins Frage „Wozu Dichter in dürftiger Zeit?“ bleibt offen, vergessen ist sie allerdings immer noch nicht. Vielleicht ruhet balde auch sie, und niemand wird mehr verstehen, was mit ihr eigentlich gemeint war. Von den verbliebenen Dichtern selbst wird sie kaum mehr gestellt. Das 20. Jahrhundert hat ihrem Anspruch, auch in modernen Zeiten als „vates“ im Sinne Vergils, als Seher, Deuter und Verklärer zu wirken, schwere Niederlagen bereitet, besonders wenn dieser mit fatalen politischen Allianzen verknüpft war.

So ist auch Ezra Pound heute vor allem als „Fall“ in Erinnerung geblieben, während nur wenige imstande oder bereit sind, sich durch sein komplexes poetisches und essayistisches Werk zu lesen, in dessen Zentrum ein titanischer Torso steht: der esoterische Zyklus der „Cantos“, an dem Pound von 1915 bis in seine letzten Lebensjahre hinein arbeitete, angelegt als mythische, politische und private Universalgeschichte, als zeitgemäßes, aber dem Erbe der Vergangenheit tief verbundenes Epos der Moderne.

Die Nachwelt interessiert sich jedoch eher für Pounds Rolle als zunehmend radikalerer Anhänger des italienischen Faschismus, der ab 1941 in propagandistischen Radiosendungen gegen das Amerika Roosevelts und, mit antisemitischem Zungenschlag, gegen die Mächte des Kapitalismus wetterte, die er als Schuldige an dem Weltkrieg betrachtete. Der Skandal war um so größer, als sich hier kein Niemand als kulturelles Aushängeschild des Feindes anbot, sondern einer der bedeutendsten Literaten seiner Zeit.

Nach dem Sturz der „Sozialen Republik“ von Salò wurde Pound von den US-Behörden verhaftet, des Hochverrats angeklagt und wie ein Schwerverbrecher wochenlang in einen Käfig unter freiem Himmel gesperrt. Von medizinischen Gutachtern als geistig unzurechnungsfähig erklärt, wurde er schließlich entmündigt und für die Dauer eines Jahrzehnts in eine psychiatrische Klinik abgeschoben. Die Größten ihrer Zeit baten aus Dankbarkeit, Freundschaft und Respekt um Gnade für jenen Mann, der einst wie kein anderer die Bahnbrecher der Moderne entdeckt, ermutigt und gefördert hatte, unter ihnen T. S. Eliot, James Joyce, William Carlos Williams, Wyndham Lewis und der politisch am entgegengesetzten Ufer stehende Ernest Hemingway, der Pound bis zuletzt öffentlich die Treue hielt.

Ezra Loomis Pound wurde am 30. Oktober 1885 in Hailey, Idaho, mitten im „Wilden Westen“ in eine Familie von typischen „White Anglo-Saxon Protestants“ geboren. Schon früh jedoch zog es ihn Richtung Europa, was für ihn vor allem die Welt des griechischen und römischen Erbes bedeutete, das er als ewige Kraftquelle betrachtete, von der er wünschte, daß sie auch in seiner Heimat geistige Frucht trage: „Der Gedanke daran, was Amerika sein könnte, wenn die Klassiker weitere Verbreitung fänden, raubt mir den Schlaf!“ 1908 erschien Pounds erste Gedichtsammlung in kleiner Auflage in Venedig, jener Stadt, in der er 64 Jahre später seine letzte Ruhe finden sollte.

Am Ende seiner Lehr- und Wanderjahre stand London als vorläufige Wahlheimat, wo er bald eine führende Rolle in den brodelnden avantgardistischen Zirkeln einnehmen sollte, die von einer Erneuerung der Kunst wie der überkommenen Gesellschaft träumten, das Alte und Uralte mit dem Neuen und Neuesten verbindend. In seinem Gedicht „Hugh Selwyn Mauberley“ blickte Pound teils ironisch, teils elegisch auf diese Zeit zurück: „Drei Jahre lang, gegen die Strömung der Zeit/ Versuchte er die tote Kunst der Dichtung / Zu retten; das ‘Erhabene’ zu erhalten,/Wie man es einst verstand.“

Der Erste Weltkrieg geriet zum nachhaltigen Trauma, das die Hoffnungen auf eine geistige Erneuerung des Saekulums zunichte werden ließ: „Es starben Millionen, /Darunter die Besten,/ Für eine Sau mit verfaulten Zähnen,/ Für eine verpfuschte Zivilisation.“ Diese Erfahrung war durchaus prägend für Pounds weiteren politischen Weg. Nachdem er 1920 London verlassen hatte und sich nach einem Zwischenaufenthalt in Paris 1924 im italienischen Rapallo ansiedelte, wuchs auch seine Begeisterung für Benito Mussolini, den er als Geistesverwandten Thomas Jeffersons betrachtete.

Der italienische Faschismus wurde für Pound zur Projektionsfläche, zum Träger einer spezifisch europäischen kulturellen Kraft gegen den Liberalismus und die Ökonomisierung der Welt, gegen die Herrschaft des „Usura“, des Dämons des Wuchers, der Hochfinanz und Zinsherrschaft. Über die Wirklichkeit lagerten sich nun gleich einem Film die alten Träume der Avantgarde, die nicht nur im Reich der Kunst herrschen, sondern das Leben selbst an der Wurzel verändern wollte, nicht nur das individuelle, sondern auch das kollektive, politische, ökonomische und religiöse. Hier gab es durchaus Berührungspunkte zur Ideologie des Faschismus, die es nicht so einfach machen, Pounds Faschisierung als pure psychopathologische Verblendung abzutun.

Dennoch ist nicht abzustreiten, daß er seit den dreißiger Jahren zunehmend verschrobener, ja größenwahnsinnig geworden war; der Zusammenbruch von 1945 war auch ein geistig-mentaler gewesen, seine Einweisung in eine Klinik mehr als nur ein Kalkül, um ihn vor härteren Strafen zu bewahren. Obwohl er, wie alle Dichter seiner Generation, die sich ins verschlingende Fahrwasser der Revolution begeben hatten, nur eingeschränkt politische Wirkung ausüben konnte, mußte er nun, ähnlich wie Knut Hamsun in Norwegen, als prominenter Sündenbock für die Verfehlungen seiner Zeit herhalten.

Jene Dichter, die sich den „großen Gesängen“ (Gerd Koenen) an die kommunistischen Tyrannen des 20. Jahrhunderts verschrieben hatten, sind glimpflich davongekommen und werden von der Geschichte mit Milde beurteilt. Die Faschisten dagegen, militärisch und geistig vollständig besiegt, widerlegt und verdammt, erscheinen heute wie dem Hades entstiegene Gestalten, poètes maudits, die tatsächlich pathologische und dämonische Züge trugen, wie Céline, Drieu La Rochelle oder eben auch Pound, für den gilt, daß die Nähe der Musen und Götter eben eine gefährliche Sache ist.

Die letzten Jahrzehnte seines Lebens verbrachte er zurückgezogen, sich und der Welt ein schweigendes Rätsel. Er begriff sich nun als zutiefst Gescheiterter und in seinem Hochmut Gedemütigter, nicht als der moderne Homer oder Dante, der er gern gewesen wäre, sondern eher einer von T. S. Eliots „hollow men“, oder wenigstens ein Narr wie Don Quichotte, der nun die Scherben seines Lebenswerks zusammensuchte, in dessen Schlacken er nur noch wenige Goldstücke gelten ließ. Sein Hauptwerk, die „Cantos“, erlitt wie alle moderne Kunst das Schicksal des Fragmentarischen, war ein unvollendetes Bruchstück geblieben, ein weites Meer, in dem er sich verloren hatte, wie Odysseus. Ezra Pound starb am 1. November 1972 in Venedig, seine sterblichen Überreste wurden auf der Toteninsel von San Michele beerdigt. 

 

Vortizismus

Ezra Pound gehörte Mitte der 1910er Jahre zu den prägenden Vertretern des Vortizismus, einer (kurzlebigen) avantgardistischen Kunstrichtung in England, die unter anderem die Autonomie der Kunst in den Vordergrund rückte. Für Pound, auf den die Bezeichnung dieser Bewegung zurückgeht, war sie  „the point of maximum energy“. Ihr Organ war die – allerdings nur zweimal 1914 und 1915 erscheinende – Zeitschrift Blast, herausgegeben von dem Maler Wyndham Lewis. Mit ihm verband Pound eine fast fünfzig Jahre währende, jedoch nicht immer spannungsfrei verlaufende Freundschaft.

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