© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

Neuer „Focus“-Chef setzt auf Provokation
Ratgeberheft wird wieder zum Politmagazin
Patrick Schmidt

Mit dem Schlachtruf „Relevanz, Relevanz, Relevanz“ läutete Wolfram Weimer die neue Ära des Focus ein. Der 45jährige ist seit Oktober Chefredakteur des Münchner Nachrichtenmagazins. Die Veränderungen, die er in der kurzen Zeit vorgenommen hat, können sich sehen lassen.

Der Focus hatte zuletzt mit einer deutlich sinkenden Auflage zu kämpfen (siehe Grafik rechts). Wohl auch deshalb hat Helmut Markwort 2009 den Cicero-Gründer als seinen Nachfolger installiert. Das einstige Avantgarde-Blatt im Bereich Visualisierung hatte in den letzten Jahren eine Odyssee im Haifischbecken der Printmedien hinter sich.

Der Kurs des Magazins  wurde neu ausgelotet

Mal Ratgeberheft, mal Wochenzeitung, dann wieder politisches Magazin. Chefredakteur Markwort ließ nichts aus, um den Kurs seines Magazins immer wieder auszuloten, neu zu justieren, andere Leserschichten anzusprechen. Das ehrgeizige Projekt verkam zeitweise zu einem Ratgebermagazin mit Themen wie „die besten Digitalkameras“ oder „erfolgversprechende Internetpartnerbörsen“.

Der ständige Kurswechsel blieb nicht ohne Folgen. Vor zwei Jahren lag die Auflage noch bei fast 800.000 Heften und damit rund dreißig Prozent höher als heute. Zum Schlingerkurs des Focus kam der allgemeine Rückgang des Anzeigengeschäfts hinzu. Stellen mußten abgebaut und Ressorts zusammengelegt werden. Spezielle Ableger, wie etwa Focus Campus, wurden ganz eingestellt. Die verkaufte Auflage des Focus lag im dritten Quartal noch bei 556.972 Exemplaren. Sie wird künstlich hochgehalten, indem das Magazin an Lesezirkel abgegeben und als Bordmagazin in Lufthansa-Flugzeugen ausgelegt wird.

Kommt jetzt die Trendwende? Wolfram Weimer hat einiges getan, um das Magazin wieder interessanter zu machen. Mit dem Titel „Staatsaffäre Sarrazin“ traf er den Nerv des Publikums. Das war keine Kunst, denn so erging es allen Zeitschriften. Kein Zufall war dagegen die aufsehenerregende Titelgeschichte in der vergangenen Woche. Sie zeigte Bundespräsident Wulff als Moslem mit Häkelmütze und Schnauzbart.

Weimer faßt heiße Eisen an

Eine derartige Verunglimpfung des Bundespräsidenten gehört eigentlich in das Genre satirischer Blätter wie der Titanic. Ist das die neue Linie? Die eher unkritische Haltung gegenüber der Union und Angela Merkel war bislang der größte Makel des Focus.

Andere Aufmacher – beispielsweise zum Thema „Zwangsheirat“ – zeigen deutlich, daß der neue Chefredakteur des Focus Relevanz in den Mittelpunkt seiner publizistischen Tätigkeit stellt. Die Mühe wurde honoriert: Das Heft „Staatsaffäre Sarrazin“ ging Medienberichten zufolge mehr als 120.000mal über die Ladentheke und lag damit etwa zwanzig Prozent über der durchschnittlichen Verkaufszahl. Und auch die Ausgabe mit dem Moslem-Wulff hat für Vergnügen in der Arabellastraße gesorgt: Aus dem Verlagsumfeld heißt es, dieses Heft sei „so gut wie Sarrazin gelaufen oder besser“.

Wolfram Weimer enttäuscht die Hoffnungen, die in ihn gesetzt wurden, nicht.Der von ihm 2004 gegründete Cicero hat sich schnell etabliert. Im Cicero wurden immer wieder „heiße Eisen“ angesprochen und investigativer Journalismus präsentiert, was in der Durchsuchung der Redaktionsräume durch die Potsdamer Staatsanwaltschaft gipfelte. Nun droht dem Blatt unter der Leitung von Michael Naumann der Tod durch Langeweile.

An seine Erfolge bei Cicero versucht Weimer anzuknüpfen. Auch beim Focus wurde ein Ressort Debatte eingeführt, geleitet von dem langjährigen Mitarbeiter Michael Klonovsky, dem inhaltlich profiliertesten Journalisten des Magazins. Er hat dem Ressort seinen Stempel aufgedrückt. So schrieb er ein Programm für eine fiktive konservative Partei. Später verfaßte er einen ebenso erdachten satirischen Brief Erich Honeckers, der sich zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung über die Entwicklung seit 1990  erfreut zeigt. Dann der Migrantenpräsident. In der aktuellen Ausgabe schimpft Norbert Bolz über „Bürokraten und politisch Korrekte“ im deutschen Wissenschaftsbetrieb.

Der nach dem Rauswurf von Stefan Aust wieder nach links driftende Spiegel dürfte durch die Positionierung und die relevanten Themen des „neuen“ Focus ernsthafte Konkurrenz bekommen.

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