© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Zu Lasten der Truppe
Bundeswehr: Die Vorschläge zur Strukturreform folgen keiner Strategie
Michael Vollstedt

Verteidigungsminister zu Guttenberg (CSU) will eine Bundeswehrreform, die Kampftruppen vorrangig für internationale Interventionen vorsieht und die Landes- und Bündnisverteidigung drastisch einschränkt; bisher hat er dies sicherheitspolitisch nicht begründet. Für ihn typisch, wertete er doch schon den verlustreichen Nato-Luftangriff vom September 2009 auf die bei Kundus gekaperten Tanklaster erst als „militärisch angemessen“, dann als „militärisch unangemessen“, – beides ohne schlüssige Begründung. Genauso unklar ließ er, warum der zuvor „unverzichtbare“ Grundwehrdienst auf einmal nicht mehr nötig sein soll.

Peter Struck (SPD) war der letzte Verteidigungsminister, der strategische Wegweisung gab: „Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt!“  Das Wort „auch“ erfordert allerdings eine Konkretisierung, die im politisch-militärischen Zusammenwirken zu präzisen Planungsvorgaben führt. Die Planung hätte diesen Vorgaben zu folgen und die Gewichte in der Bundeswehr wären demgemäß zu verteilen: ohne Struktur-Revolution und politisches Getöse, vielmehr mit dem etablierten Planungsprozeß des Ministeriums, den der Minister durchhalten und dessen Ergebnis er durchsetzen muß. Man konnte hoffen, daß die von zu Guttenberg eingesetzte und vom Chef der Bundesarbeitsagentur, Frank-Jürgen Weise, geleitete Strukturkommission ihre Vorschläge nun sicherheitspolitisch ableitet, aber auch mit klarem Blick auf deren Realisierung abfaßt; sie war dafür kompetent genug besetzt.

Das Ergebnis aber enttäuscht: Die Kommission wählte ihr Motto „Vom Einsatz her denken“, um „die Situation aller Angehörigen der Bundeswehr spürbar zu verbessern“. Dazu baute sie auf Überlegungen der „Weizsäcker-Kommission“ aus dem Jahr 2000 (!) auf, wonach die Bundeswehr zu groß, falsch zusammengesetzt und zunehmend unmodern sei. Während zu Guttenbergs politischer Ansatz so zur Grundlage für die Kommissionsarbeit wurde, hat man sich nicht damit auseinandergesetzt, ob es das gesteckte Ziel rechtfertigt, eine ganze Armee umzukrempeln. Vielmehr behandelte die Kommission richtige Fragen nach stärkerer Einsatzorientierung, Zentralisierung von Verantwortung, Konzentration von Aufgaben, Beschleunigung von Planung und Beschaffung sowie umfassender Effizienzsteigerung, um dann radikale Vorschläge zu machen, bei denen kaum ein Stein auf dem anderen bleiben würde. Vieles davon wurde schon früher untersucht und ist entweder verworfen worden oder nur zum Teil gelungen. Das hat Gründe, die der Kommissionsbericht aber nicht erörtert.

Die Empfehlungen der Kommission erfordern neben laufenden Rüstungs- und Infrastrukturvorhaben auch neue Investitionen, und das Personal würde deutlich teurer werden. Dieses Ergebnis liegt weit über dem Haushaltsansatz, den der Minister zur Verfügung hat. Bereits zuvor hatte Harald Kujat, als Generalinspekteur unter Verteidigungsminister Scharping (SPD) mit der bisher größten Bundeswehrreform betraut, grundsätzlich festgestellt, daß die vom Finanzminister geforderten acht Milliarden Euro mittelfristig nicht einzusparen sind. Zu Guttenberg weiß das und hat deshalb mehr Zeit erbeten, aber er will den Sparbeitrag erbringen. Das erklärt den von ihm favorisierten Streitkräfteumfang bis zu 165.000 Soldaten, während die Weise-Kommission 180.000 vorschlägt. Eine massive Senkung der Personalkosten wäre jedoch mit tiefen Einschnitten in das Fähigkeitsprofil der Streitkräfte verbunden – erst recht, wenn gleichzeitig die Zahl der Soldaten für Auslandseinsätze auf 15.000 verdoppelt werden soll.

Ein solcher Ab- und Umbau des Personalbestandes mindert unsere Präsenz und damit den Einfluß im Bündnis. Er schränkt die Führungs-, Reaktions- und Durchhaltefähigkeit unserer Streitkräfte ein, zumal die Zahl der Zivilbediensteten ebenfalls massiv verringert werden soll, wovon auch die Truppe direkt betroffen ist. Daß solche Effekte durch Rationalisierungsgewinne aufgefangen werden könnten, ist eine Illusion. Das gilt auch für den Vorschlag, das Verteidigungsministerium zu halbieren und die Arbeit entsprechend nach unten abzuschichten. In kleinerem Umfang gab es das schon einmal: Als Folge wurde der Koordinierungsaufwand größer. Konstruktiver ist dagegen die Empfehlung, man brauche zwar die Wehrpflicht nicht mehr, sollte aber die freiwillige Dienstleistung der Bürger auf breiter Basis fördern und dazu auch die vom Minister vorgesehene Komponente von 7.500 freiwillig Grundwehrdienstleistenden verdoppeln. Damit wäre eine überzeugendere Lösung als Ersatz für den allgemeinen Wehrdienst gefunden.

Der grobe Reformansatz zu Guttenbergs und das Ergebnis der Weise-Kommission lassen Befürchtungen aufkommen: Der forcierte Umbau zu einer Interventionsarmee, unter Sparzwängen zurechtgestutzt, würde unserer Armee über viele Jahre Schaden zufügen. Zudem hat die Bundeskanzlerin angedeutet, daß die Konzentration der Bundeswehr auf Interventionseinsätze einer langfristig anzulegenden Sicherheitsvorsorge Deutschlands nicht genügt. Kann die Regierung noch eine  vernünftige Linie finden?

 

Michael Vollstedt, Generalmajor a.D., hat an mehreren Strukturreformen in der Bundeswehr und der Nato mitgewirkt

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