© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Politik und Medien
Aderlaß der Stammleser
Rolf Dressler

Es klingt erklärungsbedürftig, eher schon wie das sprichwörtliche Pfeifen im Walde und wie ein Offenbarungseid, was Paul-Josef Raue, Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen sagt: daß die meisten deutschen Zeitungen es doch tatsächlich schafften, selbst die Getreuesten der Treuen, sprich: ihre zunehmend enttäuschten Stammleser, in Scharen davonzutreiben. Aber erleben die politischen Parteien, von den Grünen zumindest gegenwärtig vielleicht einmal abgesehen, auf ihrem Betätigungsfeld nicht schon seit Jahren einen Aderlaß, der geradezu verblüffend ähnlich verläuft?

Zufällig ist diese Parallelität, dieses Zusammentreffen zweier Abwärtstrends ganz gewiß nicht. Denn so vielfältig die Gründe im einzelnen sein mögen – sie sind großenteils handfest selbstverschuldet. Und jetzt machen die Fadenzieher in Politik und Medien eine zwar absehbare, für sie aber angeblich dennoch überraschende Erfahrung: Immer mehr Menschen im Lande fühlen sich augenscheinlich unzureichend informiert oder gar desinformiert, nehmen die Berichterstattung zu Recht als überwiegend penetrant linksideologisch-tendenziös wahr.

Wahlbürgern wie Zeitungslesern und Fernsehzuschauern mißfällt zudem, daß die überwiegende Mehrheit der Medien sich schon in der sogenannten Nachrichtengebung aufführt wie der verlängerte Verlautbarungsarm des Politikgeschäfts. Wo bleibt zum Beispiel eine rundum sachgetreue, ausführliche Darstellung des Großvorhabens „Stuttgart 21“ in den öffentlich-rechtlichen Sendern, deren Führungsleute sich doch so gern auf ihren gesamtgesellschaftlich wertvollen, gesetzlich verankerten „Informationsauftrag“ berufen?

Warum erfährt die Öffentlichkeit erst nach zig Jahren, daß in Deutschland nicht – wie von der Politik beharrlich falsch behauptet und von Presse, Funk und Fernsehen fast durchgängig „nachgesungen“ – nur „etwa sieben Millionen“, sondern längst schon mindestens 16,5 Millionen „Menschen mit Migrationshintergrund“ Wohnsitz gefunden haben? Auch ein Thilo Sarrazin steht verdienstvollerweise dafür, daß die demokratieschädliche Kumpanei der Faktenverdreher dauerhaft gesprengt werden kann, werden muß. Das jedenfalls könnte Stammleser wie auch Stammwähler zumindest wieder freundlicher stimmen.

 

Rolf Dressler war langjähriger Chefredakteur beim „Westfalen-Blatt“ in Bielefeld und ist nun freier Journalist

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen