© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Ein Ministerium rüstet ab
Bundeswehrreform: Nach den Einsparungen bei der Truppe stehen der Verwaltung der Streitkräfte tiefe Einschnitte bevor
Paul Rosen

Die Truppe steht im Einsatz, aber der Hubschrauber hebt nicht ab. NH 90 steht für Nato-Hubschrauber der neunziger Jahre. Wir aber schreiben das Jahr 2010 – und der Hubschrauber ist immer noch nicht einsatzfähig.“ Mit diesen Sätzen beginnt der in der vergangenen Woche vorgestellte Bericht der Strukturkommission der Bundeswehr. Und wie alle Vorgängerpapiere seit der Wiedervereinigung empfiehlt es eine weitere Verkleinerung der Armee, um erneut eine „Friedensdividende“ für den Bundeshaushalt kassieren zu können.

Einige der Vorschläge, die von einer vom Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, geleiteten Kommission gemacht werden, sind sinnvoll. So soll die Rolle des Generalinspekteurs gestärkt und dessen Position als Oberkommandierender der Streitkräfte zu einer Art Generalstabs-

chef ausgebaut werden. Dem Einsatzführungskommando in Potsdam könnten dann die Aufgaben eines Generalstabs zuwachsen, während die Inspekteure der Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine ihre Rollen als Frühstücksdirektoren auf der Bonner Hardthöhe verlieren und in die Befehlsstruktur eingegliedert würden. Zudem soll es künftig nur noch einen beamteten Staatssekretär im Ministerium geben, dem der aufgewertete Generalinspekteur gleichgestellt würden (siehe Schema). Fehlentwicklungen, die zu Zeiten des Ministers Rudolf Scharping (SPD) eingeleitet wurden, werden behoben. So soll etwa der Sanitätsdienst die Eigenschaft einer eigenen Teilstreitkraft verlieren. Bei der Neuorganisation des Ministeriums, das nach dem Willen der Kommission zudem komplett nach Berlin verlegt werden soll, stehen die konsequente Vereinfachung der Organisation und die Bündelung von Verantwortlichkeiten im Vordergrund.

Mit Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ist es zur Zeit so wie mit Obama vor dessen Wahl zum  amerikanischen Präsidenten: Jeder Auftritt gerät zu einer Art Hochamt. Fragen werden auf später verschoben, kommen dann aber mit um so größerer Hartnäckigkeit und tragen zur Entzauberung messianischer Gestalten bei. Auch nach der Vorstellung des Weise-Papiers waren die Medien des Lobes voll, daß nun endlich darangegangen werde, die Bürokratie bei der Bundeswehr abzubauen und die Truppe schlagkräftiger zu machen. Die richtige Rechnung kommt natürlich noch, aber vermutlich erst dann, wenn Guttenberg längst in einer anderen Verwendung ist.

Zur Erinnerung: Guttenberg hatte sich in den Sparverhandlungen der Koalition aufgedrängt, einen Sparbeitrag von acht Milliarden Euro leisten zu wollen. Der ehemalige Generalinspekteur Harald Kujat stellte zu den acht Milliarden in der Stuttgarter Zeitung fest: „Die werden ja in keinem Fall erreicht. Selbst bei dem Modell mit 163.000 Soldaten kann man in vier Jahren nur etwa die Hälfte des Einsparpotentials erreichen.“

Das dürfte vermutlich auch den Mitgliedern der Struktur-Kommission klar gewesen sein, die eine Verkleinerung der Truppe von derzeit 245.000 Soldaten auf 180.000 bis 190.000 fordert. Die Zahl liegt über der von Guttenberg genannten Vorgabe von 163.500. Egal  welche Zahl sich schließlich durchsetzen wird: Eine Armee dieser Größenordnung ist zur effektiven Landesverteidigung und zum Schutz der Heimat nicht mehr in der Lage. Der Titel der Kommissionsempfehlungen verrät dies selbst: „Vom Einsatz her denken“, heißt es dort.

Durchschnittswerte sind nicht alles, aber bei der von der Kommission genannten Truppenstärke stünde in Deutschland ein Soldat für zwei Quadratkilometer Territorium zur Verfügung. Schon heute ist etwa Hamburg eine bundeswehrfreie Zone – die Führungsakademie und die Helmut-Schmidt-Universität ausgenommen. Das gilt auch für andere Regionen. Künftig würden nicht genügend Truppen zur Verfügung stehen, um die bei großen Lagen heute schon überforderte Polizei bei der Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung oder bei der Bewältigung von Naturkatastrophen zu unterstützen. Dem Generalinspekteur hilft keine zusätzliche Befehlsgewalt, wenn keine Befehlsempfänger zur Verfügung stehen.

Die Truppe bekommt nicht, was sie bestellt 

Die Situation im Einsatz sieht nicht besser aus. Gerade einmal 7.000 Einsatzkräfte kann die Bundeswehr zur Zeit dauerhaft aufbieten. 15.000 sollen es werden. Dazu sagt Kujat: „Wenn ständig 15.000 Soldaten in Einsätzen sind, ist bei einem viermonatigen Einsatzrhythmus und 20 Monaten Auszeit von sechs Kontingenten auszugehen. Folglich müssen 90.000 gut ausgebildete und ausgerüstete Soldaten als Reaktionskräfte permanent zur Verfügung stehen.“ Das wird schwierig, zumal die Abschaffung der Wehrpflicht die Bundeswehr vor neue Probleme bei der Nachwuchsfindung stellen wird, die durch den Geburtenrückgang ohnehin schwierig geworden wäre.

Selbst wenn man unterstellt, es gelänge die Aufstellung einer Einsatztruppe von 90.000 Kämpfern, stellt sich die Frage der Ausrüstung mit Waffen- und Transportsystemen. Es ist nicht nur der Hubschrauber NH 90, der nicht funktioniert. Praktisch kein wichtiges Produkt des Rüstungskonzerns EADS ist voll funktionsfähig – bis hin zum Milliardengrab Eurofighter, dem einstigen Jäger 90. Auf der Landseite gibt es zu wenig Einsatzfahrzeuge, der Marine fehlen Truppentransporter.

Vor allem beklagt die Kommission, daß die Streitkräfte die geforderte Ausrüstung zumeist weder im erforderlichen Zeit- noch im geplanten Kostenrahmen erhalten. „Die Truppe bekommt am Ende nicht mehr das, was zur Erfüllung ihres Auftrages, zum Schutz und zur Sicherheit der Soldaten erforderlich ist“, lautet das vernichtende Urteil. Als Abhilfe schlägt das Gremium eine Neuausrichtung der Beschaffungsorganisation vor, die sich an den Einsatzanforderungen und zivilen Vorbildern orientieren müssen.

Der von der Kommission dafür geforderte Dialog mit der Rüstungsindustrie findet bereits statt: In Berlin laufen Heerscharen von Lobbyisten herum, die Abgeordnete beeinflussen wollen, damit sie vom kleiner werdenden Investitionsetat möglichst viel mitbekommen. Daß Schutz und Bedürfnisse der Soldaten zu kurz kommen, wenn Rüstungsentscheidungen im Berliner Lobbyisten-Treff „Café Einstein“ vorbeeinflußt werden, dürfte klar sein.

Positiv zu bewerten sind die Vorschläge der Kommission zur Verkleinerung und Neustrukturierung des Verteidigungsministeriums. Man kann getrost auf die Hälfte der 3.300 Ministeriums-mitarbeiter verzichten – auf welche Hälfte ist fast schon egal.

Fotos: Versorgung deutscher Truppen in Afghanistan: Künftig sollen der Bundeswehr mehr Soldaten für Auslandseinsätze zur Verfügung stehen, So könnte nach den Vorstellungen der  Kommission das Ministerium künftig organisiert werden: Der Generalinspekteur wird als Oberkommendierender der Streitkräfte deutlich aufgewertet und dem Staatssekretär gleichgestellt.

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