© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Verhärtete Fronten
Finnland: Kampf um Sonderstellung der Ehe führt zu einer Welle von Kirchenaustritten
Anni Mursula

Debatten werden in Finnland für gewöhnlich recht rational geführt. Doch seit einer Diskussion im Fernsehsender YLE über die Situation von homosexuellen Paaren streiten nun auch die Finnen mit Leidenschaft.

Es ging um die Forderung nach einem Adoptionsrecht für Schwule und Lesben und um die Frage, ob die Kirche gleichgeschlechtliche Paare segnen sollte. Zu den Befürwortern gehörten der schwule Grünen-Politiker Oras Tynkkynen und die Pastorin Leena Huovinen. Ihnen gegenüber standen der Bischof des Bistums Tampere, Matti Repo und die Vorsitzende der konservativen Christdemokratischen Partei (KD), Päivi Räsänen. Vor allem letztere sprach sich gegen eine kirchliche Segnung von schwulen und lesbischen Paaren aus. Auch das Adoptionsrecht für Homosexuelle lehnte sie ab.

Die hitzige Debatte zog Kreise. Die Empörung richtete sich vor allem gegen die „erzkonservative“ Räsänen. Auch die evangelische Kirche sah sich wachsender Kritik ausgesetzt. Noch am Abend der Sendung verzeichnete der Verein Vakaumusten tasa-arvo VATA einen rasanten Anstieg von Austritten. Mittels eines Formulars auf deren Internetseite verließen Zehntausende die Kirche.

Konfrontiert mit dem Massenaustritt distanzierte sich Finnlands Erzbischof Kari Mäkinen von „jeglicher Diskriminierung“. Weder Räsänen noch Bischof Repo hätten für die evangelische Kirche gesprochen. Diese sei offen für alle – egal welcher sexuellen Neigung.

Mäkinens Versuch, die Kritiker zu beruhigen, blieb erfolglos. Schlimmer: Zu denen, die die Kirche wegen ihrer als zu konservativ empfundenen Haltung verließen, gesellten sich nun noch die, die dem Erzbischof Prinzipienlosigkeit vorwarfen. Und so hatte die Kirche bis Ende Oktober 56.000 Austritte zu beklagen, davon allein fast 39.000 seit dem Beginn der Debatte. Eine gegenteilige Entwicklung verzeichneten dagegen Päivi Räsänens Christdemokraten. Deren Mitgliederzahl wuchs innerhalb von zwei Wochen um 1.050 auf 12.000.

Wie geteilt die Meinung ist, zeigt  eine aktuelle Umfrage der Tageszeitung Helsingin Sanomat. Danach lehnen 37 Prozent der Finnen die kirchliche Segnung schwuler und lesbischer Paare ab. 28 Prozent fordern das Gegenteil. Ähnlich sieht es in der finnischen evangelischen Kirche aus. Laut einer Meldung der Nachrichtenagentur STT wäre die Hälfte der Bischöfe bereit, homosexuelle Paare zu segnen. Der Bischof von Kuopio, Wille Riekkinen, sprach sich gar für eine vollständige Gleichbehandlung von homosexuellen Partnerschaften und Ehen aus. Voraussetzung dafür sei die Annahme einer Gesetzesinitiative durch das finnische Parlament im Frühjahr, nach der die Definition des Begriffs Ehe, und damit auch deren rechtliche Sonderstellung, künftig nicht mehr vom Geschlecht der Partner abhängen soll.

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