© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Im erneuten Bann des Terrors
Al-Qaida: Niederlagen haben Bin Ladens Terrornetzwerk immer wieder geschwächt, ein Ende ist aber nicht abzusehen
Bodo Bost

Bin Ladens Al-Qaida beherrscht die Schlagzeilen. Sprengsätze in der Luftfracht, ein blutiges Geiseldrama in einer syrisch-katholischen Kirche in Bagdad, bei dem über 50 Christen starben, lassen die westliche Welt erschüttern. Galt das Terrornetzwerk im Irak doch praktisch als verschwunden, und auch in Pakistan gerät es zunehmend in Bedrängnis. Alternativ hierzu versucht nun Bin Laden im Jemen und Nordafrika verzweifelt neue Kampfplätze des globalen Dschihad zu eröffnen.

 Die gesamte Welt ist das Schlachtfeld der im Jahr 1988 gegründeten Al-Qaida. Ihr zentrales Feindbild sind „Kreuzzügler und Juden“. Diese sind allerdings nur der „entfernte Feind“, der „nahe Feind“ der Al-Qaida sind die muslimischen Regime, die durch ihre Zusammenarbeit mit dem Westen sich in den Augen von Al-Qaida der Apostasie (Abfall) vom Islam schuldig gemacht haben.

Terrorzentrale in Pakistan gerät unter Druck

Die Organisation von Bin Laden erreichte ihren Höhepunkt, als es ihr von 1996 bis 2001 gelang, zusammen mit den Taliban in Afghanistan eine feste geographische Basis, ein Dschihadistan, für ihr internationales Netzwerk aufzubauen. Entsprechend proklamierte Bin Laden in seiner „Dschihaderklärung“ vierzehn globale Kampffronten. Von Dschihadistan aus konnte die Organisation Massenterror in viele Teile der Erde, Afrika, Asien und schließlich in die USA tragen. Mit dem letzten und verheerendsten Angriff gegen die Führungsmacht der westlichen Welt jedoch hatte sich die Strategie des Terrornetzwerkes gegen sich selber gerichtet. Der „entfernte Feind“, die USA, wurde nun durch die Intervention in Afghanistan zum „nahen Feind“ und stürzte das verbündete Talibanregime.

Nur durch seine Flucht nach Pakistan, in die nördlichen Stammesgebiete von Waziristan, gelang es Bin Laden dann, obschon geschwächt, sich an anderen Fronten des globalen Dschihad wieder neu zu formieren. Dort haben in den letzten Monaten von der CIA von Afghanistan aus geführte Drohnenangriffe die Al-Qaida-Führung sehr stark getroffen. Man schätzt, daß etwa die Hälfte der 200 bis 300 Mann starken Al-Qaida-Truppen auf diesem Wege in Nordwaziristan ausgeschaltet wurden.

Der Terrorzentrale in Pakistan war es in den letzten Jahren erfolgreich gelungen, Nebenkriegsschauplätze des globalen Dschihad im Nahen Osten und in Nordafrika zu eröffnen. Im Jemen haben sich die aus Saudi-Arabien vertriebenen Al-Qaida-Mitglieder in den Provinzen Marib und Schabwa festgesetzt, von dort planen sie internationale Anschläge. Der gescheiterte Anschlag auf einen Linienflug in die Vereinigten Staaten am 25. Dezember 2009 bildete nur den Vorgeschmack.

Im Irak hat Bin Laden seinen größten Fehler begangen, indem er das Bündnisangebot des jordanischen Terroristen Abu Musab al-Zarqawi im Jahre 2004 angenommen hat. Zarqawi hatte zwar zunächst spektakuläre „Erfolge“ in Falludscha und mit der Entführung und Ermordung westlicher Geiseln. Seine Grausamkeit gegen Christen und vor allem gegen die Schiiten sowie sein Ziel, den Terror eigenmächtig auch in die Nachbarländer des Irak zu exportieren, haben ihm viele einheimische Unterstützer entzogen; er starb 2006 durch einen amerikanischen Bombenangriff.

Auch den von Bin Laden ernannten Nachfolgern Al-Muhajer und Al-Baghdadi gelang es nicht, den einheimischen Widerstand auf die Seite von Al-Qaida zu ziehen. Durch ihren Tod im April 2010 sah sich Bin Laden im Irak in die Enge getrieben.

In Nordafrika konnte Bin Laden auf das im algerischen Bürgerkrieg der 1990er Jahre entstandene Terrornetzwerk der „Salafistischen Bewegung zur Predigt und zum Kampf“ unter dem Kommando von Abdelmalik Drukdal zurückgreifen, das mit Waffengewalt eine Rückkehr zum Ur-Islam predigte. 2007 änderte dieses Netzwerk seinen Namen und nennt sich seitdem „Al-Qaida des islamischen Maghreb“ (AQMI). Mit dieser Namensänderung verband das Netzwerk eine Reihe von spektakulären Anschlägen, die zur Verlegung der traditionellen Rallye Paris-Dakar nach Südamerika führten.

Die AQMI bildet zwei nomadisierende  Kommandoeinheiten, eine im Westen in Mauretanien und eine im Norden von Mali, denen es in den letzten Jahren immer wieder gelang, westliche Touristen, Entwicklungshelfer oder Techniker zu entführen, zuletzt fünf französische Uranspezialisten im Niger. Trotz der spektakulären Entführungen von Al-Qaida im Maghreb hat das Netzwerk eine Zielvorgabe der Zentrale in Pakistan nicht erreicht. Dort glaubte man, von Nordafrika aus den Terror auch nach Europa zu tragen.

Neue Fronten in Somalia und Tschetschenien

Entsprechend hat sich der globale Dschihad von Al-Qaida in den letzten Jahren zunehmend auf das Internet verlagert. Al-Qaida hat eine eigene audiovisuelle Produktionsfirma Al Sahab („Die Wolken“) gegründet, die auch, wie jüngst gegen Frankreich, die Drohbotschaften von Bin Laden und die Märtyrervideos produziert. Über das Internet werden auch die noch bestehenden Fronten des Terrornetzwerkes koordiniert und eventuelle neue Fronten wie etwa in Somalia mit den Schababmilizen oder in Tschetschenien eröffnet.

Der Rückzug der zentralen Al-Qaida-Führung nach Pakistan hat zu einer Pakistanisierung des gesamten Netzwerkes geführt, was in den arabischen Ländern, die einst die Basis von Bin Laden darstellten, zu einer zunehmenden Entfremdung geführt hat. Doch trotz der zweifellosen Verringerung des Terrorpotentials von Al-Qaida kann ein einziges gelungenes „globales“ Attentat der Organisation wieder soviel Sympathie und Freiwillige zuführen, daß der Niedergang über Nacht gestoppt werden könnte. 

Foto: Sajjidat-al-Nadscha-Kirche in Bagdad: Emmanuel III. Delly (l.), Patriarch der chaldäisch-katholischen Kirche, besucht den Tatort des Massakers. Bin Laden warnt Frankreich per Videobotschaft (oben)

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