© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Ratlosigkeit am Hindukusch
Afghanistan: Ernüchternde Bilanz der Nato-Stategie / Die Russen kehren zurück
Michael Wiesberg

Wie verzweifelt muß die Lage am Hindukusch eigentlich sein, wenn nun sogar Rußland Unterstützung leisten soll? Genau dies bahnt sich gut 21 Jahre nach dem Abzug der russischen Besatzungstruppen aus Afghanistan, die vorher in einen jahrelangen erfolglosen Abnutzungskrieg verwickelt waren, an. Ein Abnutzungskrieg, in dem die USA durch aktive Unterstützung der Mudschaheddin, die mit modernen Waffen ausgerüstet wurden, maßgeblich zur russischen Niederlage beitrugen.

Die Russen sollen Medienberichten zufolge Militärausbilder schicken. Es ist aber auch von zwanzig Hubschraubern die Rede, die den afghanischen Truppen zur Verfügung gestellt werden sollen. Das Ganze soll dem Vernehmen nach auf dem nächsten Nato-Gipfel in Lissabon im November offiziell gemacht werden. Das Geschäft mit den Russen muß ganz offensichtlich in einem größeren Kontext gesehen werden, der sich nicht nur im gemeinsamen Kampf gegen den afghanischen Drogenhandel manifestiert. So erklärte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, der kommende Nato-Gipfel stelle einen „Neustart“ in den Beziehungen zwischen Rußland und der Nato dar.

Entscheidend hierbei dürfte die Annäherung in der Frage eines Raketenschutzschildes in der Tschechei und in Polen sein, bei dem die Nordatlantische Allianz mit Rußland zusammenarbeiten will. „Eine Kooperation zwischen Rußland und der Nato in der Frage eines Raketenschutzschildes“, erklärte Rasmussen, „wird uns in die Lage versetzen, eine wirkliche euro-atlantische Sicherheitsarchitektur unter einem Dach zu schaffen.“

Die Taliban wurden nie entscheidend geschwächt

Dem Vernehmen nach erwartet Rußland im Gegenzug Zugeständnisse im Hinblick auf den Status der „autonomen Gebiete“ Südossetien und Abchasien, wo infolge des russisch-georgischen Krieges im Jahre 2008 immer noch russische Besatzungstruppen stationiert sind.

In Moskau dürfte man die Misere der USA und ihrer Hilfstruppen am Hindukusch mit Genugtuung verfolgen. Der sowjetische Ex-Präsident Michail Gorbatschow gab dieser Genugtuung eine Stimme, als er in einem BBC-Interview erklärte, der Krieg in Afghanistan sei nicht zu gewinnen. Gorbatschow pflichtete US-Präsident Obama bei dessen Entscheidung bei, bald mit dem Truppenabzug zu beginnen. Die Alternative wäre „ein zweites Vietnam“.

In eine ähnliche Richtung äußerte sich der russische Botschafter in Kabul, Samir Kabul. Er erklärte, die Nato habe die Fehler der sowjetischen Armee in Afghanistan wiederholt. Die Bilanz fällt in der Tat ernüchternd aus: Trotz aller militärischen Anstrengungen konnten die Taliban, die eine erstaunliche Regenerationsfähigkeit an den Tag legen, bisher nicht entscheidend geschwächt werden.

 Die Gründe hierfür seien nach Auffassung des Afghanistanexperten  Christoph R. Hörstel auch in der anfänglichen US-Luftwaffendoktrin zu suchen, die dazu geführt habe, daß es in Afghanistan überproportional viele zivile Tote aufgrund von US-Luftschlägen gab. Nicht zuletzt deshalb seien die Taliban wieder erstarkt, die überdies als gut bezahlender „Arbeitgeber“ immer weiter an Boden gewönnen. An dieser Entwicklung dürfte auch die laufende „Operation Dragon Strike“ der Nato-Truppen in der Provinz Kandahar im Süden von Afghanistan nichts Grundsätzliches ändern.

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