© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Politischer Klassenkampf
Tagung zum Vertreibungs- und Enteignungsunrecht: Der deutsche Staat hat bei der Rehabilitierung und Wiedergutmachung versagt
Klaus Peter Krause

Wo staatliches Unrecht wütete, kann und darf der Rechtsstaat die Opfer und ihre Angehörigen mit den Folgen nicht allein lassen.“ Dieser Satz des Marburger Rechtswissenschaftlers Hans-Detlef Horn schwebte wie ein Motto über der Tagung „Eigentumsrecht und Enteignungsunrecht – Analysen und Beiträge zur Vergangenheitsbewältigung“ am 25. und 26. Oktober in Bad Pyrmont.

In der Veranstaltung der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen und der Landsmannschaft Ostpreußen ging es darum, die Folgen des nach dem Zweiten Weltkrieg geschehenen Vertreibungs- und Vermögensunrechts aufzuarbeiten. Für den demokratischen Rechtsstaat gelte, wie Horn einleitend sagte, das Verbot des Vergessens dort, wo vergangenes Unrecht zukünftiges Recht beeinträchtigen könne. In der Tat, eine Gesellschaft, die sich weigert, die (von wem auch immer begangenen) Rechtsverstöße der Vergangenheit zu unterdrücken, zu bagatellisieren oder gar nicht anzuerkennen und eine Wiedergutmachung zu verweigern, setzt unheilvolle Maßstäbe für die Gegenwart.

Das Bagatellisieren setzt unheilvolle Maßstäbe

Wie Horn feststellte, ist eine allseitig akzeptierte Wiedergutmachung von Kriegsfolgenunrecht 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, 50 Jahre nach dem Beginn der europäischen Integration, 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung sowie nach dem deutsch-polnischen und dem deutsch-tschechischen Nachbarschaftsvertrag noch immer nicht zur Gänze gelungen. Eine effektive, gerechte und nicht-diskriminierende Wiedergutmachungspolitik – ob durch Rückgabe konfiszierter Vermögenswerte, durch angemessene Entschädigung oder durch personenbezogene Rehabilitierung – sei für ein rechtsstaatliches demokratisches Gemeinwesen ein maßgebliches Kriterium.

„Der demokratische Rechtsstaat kann sich gegenüber seinen Bürgern nicht darauf zurückziehen, daß nicht er, sondern eine fremde Staatsmacht der Täter gewesen war. Auch das Völkerrecht kennt mittlerweile die Verantwortlichkeit eines jeden Staates, schwerwiegende Rechtsverletzungen nicht nur nicht anzuerkennen, sondern aktiv für die Beendigung und Beseitigung der durch sie entstandenen Zustände zu sorgen“, so Horn.

Allerdings, im Fall von schwerem Unrecht gegenüber Deutschen ist Täter nicht nur eine fremde Staatsmacht gewesen, sondern auch der heutige deutsche Staat. Denn nach wie vor verweigern seine Politiker, Ämter und Gerichte den unschuldigen Opfern politischer Verfolgung in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) 1945 bis 1949 die zwingende Rehabilitierung und Wiedergutmachung. Bis heute werden diese Opfer politisch und amtlich nur so wahrgenommen, als seien sie durch die damalige „Boden- und Wirtschaftsreform“ bloß enteignet worden.

Daß dies eine absichtsvolle Täuschung ist, hat auf der Tagung eindrucksvoll der Rechtsanwalt Johannes Wasmuth aus München in seinem Vortrag belegt. Diese sogenannte Reform sei in Wahrheit ein politischer und brutaler Klassenkampf mittels inszenierter Strafverfahren gewesen, um den „Klassenfeind“ – die großbürgerlich-unternehmerische Bevölkerungsschicht – zu vernichten. Es war dort nach Wasmuths Worten „auch eine Massenvertreibung auf deutschem Boden“. Dieser Verfolgungs- und Strafcharakter werde durch Politiker, Ämter und Gerichte seit 1990 verschleiert.

Dem 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts mit dessen einschlägigen Urteilen zu verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsverfahren warf er Rechtsbeugung vor, weil dieser Senat die klare Tatsachen- und Rechtslage nicht beachte. Da sich die unteren Gerichte und Ämter an diesen Urteilen ausrichten, versage die Aufarbeitung dieses Verfolgungsunrechts „flächendeckend“, so Wasmuth. Die Opfer der SBZ-Zeit haben nach wie vor einen strafrechtlichen Rehabilitierungsanspruch, der zur Rückgabe der entzogenen Vermögenswerte führt, wenn sie noch in Staatshand sind, oder (als Entschädigung) zur Erlösauskehr, wenn der Staat sie (wie meistens) schon verkauft hat.

Wasmuths Darlegungen bestätigte der Jurist Albrecht Graf von Schlieffen, allerdings mit einer Abweichung: Für die Verfolgungsopfer der „Bodenreform“ sei nicht das strafrechtliche, sondern das verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz einschlägig. Er sieht die Trennlinie darin, ob die damaligen Täter gegen ihre Opfer mit einem individuellen oder mit einem pauschalen Vorwurf vorgegangen sind. Denn die Opfer der „Bodenreform“ seien unabhängig von tatsächlicher persönlicher Schuld oder Unschuld immer dann pauschal als „Nazi-Aktivisten“ und „Kriegsverbrecher“ vertrieben und enteignet worden, wenn sie 100 Hektar und mehr besaßen. Selbst nichtadlige Landwirte mit Betrieben von 100 Hektar und mehr wurden von den Kommunisten unter die „Junker“ subsumiert.

Der Rechtswissenschaftler Otto Depenheuer von der Universität Köln vertrat hingegen eine andere Ansicht: „Die Geschichte der Enteignungen von 1945 bis 1949 ist zwar keine gute, aber die Juristenschlachten sind geschlagen.“ Die Aufarbeitung des Unrechts sei eine politische und rechtspolitische. Aber auch Depenheuer bekundete, daß „die noch immer bestehende Wunde der Konfiskationen“ zu schließen sei. „Das Unrecht bleibt ja Unrecht, es will anerkannt, will kompensiert sein.“ Vergessen gehe nicht, man müsse sich dem Unrecht stellen. „Was ein Rechtsstaat selbst nicht tun darf, das darf er auch nicht dulden.“ Der Kult der eigenen Schuld in Deutschland habe das an Deutschland verübte Unrecht überlagert.

Der Kult der eigenen Schuld

Andere Vorträge befaßten sich mit dem Stand und den Aussichten der staatlichen Wiedergutmachungspolitik in der Tschechei und Polen. Da beide Länder inzwischen zur EU gehören, besteht, wie Horn sagte, auch für die nach 1945 aus dem Sudetenland und den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie vertriebenen Deutschen wieder die Freiheit, sich in der alten Heimat niederzulassen und dort einer wirtschaftlichen Betätigung nachzugehen – eine Freiheit, die zwar unionsrechtliche Selbstverständlichkeit sei, aber durchaus auch als Korrektur perpetuierter Unrechtslagen begriffen werden könne.

Das einzige noch verbliebene Problemfeld sei eine diskriminierungsfreie, die alten Staatsdekrete überwindende Regelung von Eigentumsrestitution oder Enteignungsentschädigung. Zur Lage und den Schranken in Tschechien berichtete der Rechtswissenschaftler Jan Filip aus Brünn und über die Wiedergutmachung durch Restitution im deutsch-polnischen Verhältnis Andrzej Wróbel, Richter am Obersten Gericht in Warschau.

Zum Tagungsbeginn hatte Hans-Günther Parplies, Vorsitzender der Kulturstiftung, an die „Charta der deutschen Heimatvertriebenen“ von 1950 erinnert. Beim Festakt zum 60. Jahrestag in Stuttgart hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die Charta in seiner Festansprache gewürdigt. Aber Parplies merkte kritisch an: „Den Vertriebenen freilich hat es wehgetan, sich mit den heutigen Integrationsproblemen von Türken und Arabern in unserem Land verglichen zu sehen. Schließlich kamen die Ostdeutschen nicht aus fernen fremden Kulturkreisen, sondern aus dem eigenen Volk, und sie waren auch durchaus der deutschen Sprache mächtig.“

Die Ostdeutschen seien nicht nur aus „Siedlungsgebieten“ vertrieben worden, „sondern in ihrer Mehrzahl aus deutschem Staatsgebiet“, so Parplies. „Warum kann man das – als historisches Faktum – nicht wahrheitsgemäß so benennen? Man scheut sich, es wahrheitsgemäß zu benennen, weil man auf die Folgerungen daraus keine Antwort hat, jedenfalls keine befriedigende. Man scheut sich, es zu benennen, weil man sonst einräumen müßte, daß es da noch offene Fragen gibt, offene Gerechtigkeitsfragen, ja offene Menschenrechtsfragen.“

 

Bodenreform und Kollektivierung

Ab Herbst 1945 wurde in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) eine sogenannte Bodenreform durchgeführt. Dabei wurden alle Landwirtschaftsbetriebe über 100 Hektar entschädigungslos enteignet. Von 1952 bis 1960 erfolgte in der DDR die flächendeckende Zwangskollektivierung durch die Bildung von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG). Die Bodenreform wurde im Zuge der Wiedervereinigung 1990 nicht rückgängig gemacht. Das Land Brandenburg hatte sich bis zum Ablauf der Verjährungsfrist am 2. Oktober 2000 Tausende in der SBZ bzw. DDR zwangskollektivierte Grundstücke angeeignet, weil die Erben der Flächen nicht bekannt waren. Der Bundesgerichtshof hatte 2007 in einem Urteil diesen Umgang des Landes Brandenburg mit Eigentümern der Bodenreform-Grundstücke als „Täuschung“ und „sittenwidrig“ bezeichnet. Nach Schätzungen sind noch immer über 10.000 Grundstücke nicht im Besitz der rechtmäßigen Erben.

Aktuelle Informationen bietet die Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum: www.are-org.de

Foto: Protestkundgebung von Enteignungsopfern vor dem Potsdamer Landtag: Opfer der sogenannten Bodenreform endlich entschädigen

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