© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Frauen unter Waffen
Weibliches Kriegertum: Ausstellung „Amazonen“ in Speyer
Karlheinz Weissmann

Das Historische Museum der Pfalz in Speyer hat in den vergangenen Jahren eine Reihe erfolgreicher Ausstellungen präsentiert: über Samurai, Hexen und Wikinger. Die Resonanz beim Publikum war gut und immer ganz wesentlich der Themenwahl zu verdanken. Das dürfte auch bei der aktuellen Schau zum Thema Amazonen   der Fall sein.

Die „geheimnisvollen Kriegerinnen“ der Antike sind ein Mythos, der sich zwar in Imaginationen niedergeschlagen, aber keine Überreste hinterlassen hat. Die Ausstellung beginnt deshalb auch mit einer Ikonographie der Amazonen, bezieht sich nicht nur auf die Berichte von Homer, Herodot und späteren, sondern auch auf die Attribute, die man den Amazonen in der Kunst beilegte, von der für die Griechen fremdartigen Bewaffnung mit Streitaxt und Reflexbogen bis zur Gewandung nach skythischem Vorbild, später die Übernahme des eigentlich den Männern vorbehaltenen Chiton, eines kurzen Rockes. Das alles hat man mit Hilfe von eindrucksvollen Vasenbildern und Münzen sowie Abgüssen antiker Statuen illustriert.

Deutlich wird dabei auch, daß die negative Beurteilung der Amazone als einer Frau, die durch ihre Lebensweise – das Kriegertum, das Ausbrennen einer Brust, um den Bogen zu spannen (Amazone von griech. „a-mazos“ = „brustlos“), die Ablehnung der Ehe, das Töten der männlichen Geburten – gegen die natürliche und göttliche Ordnung verstößt, nicht nur ergänzt wurde um gewisse Momente erotischer Anziehung, sondern auch um einen fremdartigen Reiz. Jedenfalls war die kultische Feier, mit der die Athener ihren legendären Sieg über die Amazonen feierten, das eine, die Liebesgeschichte von Achilles und Penthesilea und die Amazonen-Figuren am Artemis-Tempel in Ephesos das andere. Auffällig ist auch der Stolz mancher Kolonialstädte in Kleinasien, die sich auf die Gründung durch sagenhafte Amazonen beriefen.

Eine nachhaltige Irritation des Amazonen-Bildes entstand erst während der Ausdehnung des griechischen Siedlungsraums, weil sich die ursprünglichen Annahmen über die Heimat der Amazonen nicht bestätigten. Immerhin kamen die Griechen im Schwarzmeergebiet in engere Berührung mit den Skythen, einem sehr heterogenen – „barbarischen“ – Stämmeverband, dessen Geschichte bisher kaum zu rekonstruieren war.

Die Skythen lebten seit dem 1. Jahrtausend v. Chr. im eurasischen Steppengürtel und in der Region des heutigen Südrußland sowie der Ukraine bis zum Dnepr. Schriftliche Zeugnisse hinterließen sie nicht, unsere Kenntnisse der skythischen Geschichte haben sich aber nach dem Zusammenbruch der Sowjet­union deutlich erweitert, als man archäologische Untersuchungen auswerten konnte, bei denen Frauengräber gefunden worden waren, die man mit Waffen und anderen Machtattributen ausgestattet hatte, die sonst Männern vorbehalten waren. Die Skelettreste sprechen außerdem dafür, daß diese Kriegerinnen einen guten Teil ihres Lebens im Sattel verbracht haben, mit dem Bogen umgingen und Wunden im Kampf empfingen.

Das früheste Grab einer Kriegerin ist allerdings wesentlich älter als die skythische Kultur des Altertums. Man fand es im Gebiet von Rostow am unteren Don; es wird auf das 5. vorchristliche Jahrtausend datiert und enthielt die Überreste einer jungen Frau, die man unter einem der mächtigen Kurgane bestattet und außer Schmuck und Musikinstrumenten auch eine Feuerstein- und eine Obsidianklinge mitgegeben hatte.

In Speyer werden außerdem besonders eindrucksvolle Funde aus einem Doppelgrab gezeigt, das auf das 6. Jahrhundert vor Christus datiert und dessen Särge die Leichen eines Mannes und einer Frau – „europiden Typs“ – mit fast identischer Ausrüstung enthielten. Der Mann war etwa 45 bis 50 Jahre alt, die Frau 16 bis 17 Jahre. Beide wurden gemeinsam bestattet, was die Archäologen zu der Vermutung bringt, daß das Mädchen dem Mann in den Tod folgen mußte. Entscheidend ist für die Annahme auch, daß das Leben als Kriegerin auf eine relativ kurze Zeit beschränkt war, bevor eine Skythin heiratete und ein Leben als Gattin und Mutter begann.

Auch dieser Hinweis zeigt, daß man die Existenz von Kriegerinnen nicht als Beweis für die Existenz eines Amazonen-Volkes nehmen kann, aber doch von einer bemerkenswerten Verbreitung weiblicher Kämpfer im Altertum auszugehen hat, die den Anstoß für die Entstehung des Amazonen-Mythos gegeben haben könnte.

Die „Amazonen“-Ausstellung ist bis zum 13. Februar 2011 im Historischen Museum der Pfalz in Speyer täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der reich illustrierte Begleitband kostet 24,90 Euro. Telefon: 0 62 32 / 62 02 22 www.museum-speyer.de

Foto: Speerschleudernde Amazone, Franz von Stuck, Bronze, teilweise vergoldet, vor 1906: Die „geheimnisvollen Kriegerinnen“ der Antike sind ein Mythos

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen