© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Von Normalität noch entfernt
Nationalgeschichte in der Friedrich-Ebert-Stiftung
Hinrich Rohbohm

Das Foyer der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin war bis auf den letzten Platz besetzt. Es mögen gut 200 Interessierte gewesen sein, die in die Hiroshimastraße gekommen waren. Das gewählte Thema ließ aufhorchen: „Auf dem Weg zu einer gemeinsamen Nationalgeschichte?“ Ein Titel, der bei einer SPD-nahen Stiftung heutiger Zeit keine Selbstverständlichkeit mehr ist.

Um so bemerkenswerter das Foto auf der Einladung. Abgebildet ist Otto Fürst von Bismarck. Der „Eiserne Kanzler“, der einst durch die Initiierung der Sozialistengesetze die SPD ärgerte, steht im Mittelpunkt der Veranstaltung. Und das im positiven Sinne. Denn im Rahmen einer Vorstellung des von Ernst und Achim Engelberg verfaßten Buches „Die Bismarcks: Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute“ verband die Friedrich-Ebert-Stiftung die „große Geschichte“ Deutschlands mit der Familiengeschichte bedeutender Adelsgeschlechter. „Da kam zeitweise so etwas wie eine feierlich-nationale Atmosphäre auf“, meinte ein begeisterter Teilnehmer der Veranstaltung, die unter anderem eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion beinhaltete.

Mit dabei sind der ehemalige Bundesminister und Architekt der Ostverträge Egon Bahr sowie Peter Brandt, Sohn von Altbundeskanzler und SPD-Ikone Willy Brandt. Gemeinsam mit dem Historiker Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem, dem Journalisten Gustav Seibt von der Süddeutschen Zeitung und dem Schriftsteller Friedrich Dieckmann diskutierten sie, wer Nationalgeschichte zu welchem Nutzen mache.

Es war Egon Bahr, der dabei unumwunden feststellte: „Wir sind auf dem Weg zu einer gemeinsamen nationalen Geschichte. Da bedarf es keines Fragezeichens mehr.“ Jedoch räumte der SPD-Politiker ein, daß die innere Einheit Deutschlands auch nach 20 Jahren noch nicht erreicht sei. Dagegen gelte das Nationalgefühl in anderen Ländern als „Normalität“. Jene Normalität sei „bei uns noch nicht selbstverständlich geworden“.

Peter Brandt betonte: „Die nationalen Einheiten werden die Bausteine Europas bleiben.“ Bedenken kamen von Moshe Zimmermann, der sich fragte, ob mit der Einheit die Rückkehr Deutschlands in alten Nationalismus drohen könnte. Das Publikum quittierte die Aussage mit Unverständnis. „Die Einheit war kein Nationalismus, sondern Volkswille“, widersprach Egon Bahr, was ihm starken Beifall bescherte. Die Erkenntnis der Podiumsrunde: Seiner eigenen Nationalgeschichte könne man nun mal auf Dauer nicht entkommen.

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