© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/10 12. November 2010

Der linke Terror kehrt zurück
Extremismus: Die jüngste Gewaltwelle mit Paketbomben, Brandanschlägen und Sabotageakten hat die Sicherheitsbehörden aufgeschreckt
Felix Krautkrämer

Bundesinnenminister Thomas de Maizière reagierte umgehend. Nur wenige Stunden nachdem im Kanzleramt eine Paketbombe griechischer Linksextremisten entdeckt und von Sprengstoffexperten entschärft worden war, rief der CDU-Politiker „alle öffentlichen Stellen in Deutschland“ auf, bei unbekannten Postsendungen, insbesondere aus Griechenland, „besondere Vorsicht walten zu lassen und unverzüglich die Polizei einzuschalten“.

Daß der vereitelte Anschlag nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist, zeigt ein Blick auf das Herkunftsland der Bombe. Dort sorgen seit etwa zwei Jahren linksextremistische Terrorgruppen durch Anschläge und Attentate mit mehreren Todesopfern immer wieder für Angst und Schrecken. Auslöser der Gewaltwelle war der Tod des 15 Jahre alten Alexis Grigoropoulos, der im Dezember 2008 während einer Demonstration in Athen von einem Polizisten erschossen worden war. Mittlerweile jedoch richtet sich der linke Terror auch gegen die griechische Regierung und deren Sparmaßnahmen.

Doch Griechenland steht mit dem Problem nicht alleine da. Auch in Deutschland mehren sich die Anzeichen für eine zunehmende Radikalisierung der linksextremen Szene. Die Behörden verzeichnen seit längerem eine zunehmende Gewaltbereitschaft der militanten Linken. Allein 2009 stieg die Zahl linksextremer Gewalttaten deutschlandweit im Vergleich zum Vorjahr um fast 60 Prozent von 701 auf 1.115 Fälle (siehe Grafik). Von den 31.600 Linksextremisten gelten 6.600 als gewaltbereit. Doch es ist nicht nur die Quantität, die Polizei und Verfassungsschutzbehörden Sorge bereitet, vor allem die Brutalität und die Dreistigkeit, mit der die Täter gegen „Staat, System und Kapital“ vorgehen, hat mittlerweile ein erschreckendes Ausmaß angenommen. So verübte beispielsweise eine linksextreme Gruppierung Anfang November einen Brandanschlag auf die Berliner S-Bahn. Durch das Feuer in einem Kabelschacht kam es zu erheblichen, mehrtägigen Beeinträchtigungen auf der Ringbahn, einer der wichtigsten S-Bahnlinien der Hauptstadt.

Die Botschaft ist klar: „Wir wissen, wo du wohnst“

Gut eine Woche zuvor bewarfen Unbekannte das Wohnhaus von Hamburgs Innensenator Heino Vahldieck (CDU) mit Farbkugeln. In der gleichen Nacht flogen Böller in den Vorgarten von Generalbundesanwältin Monika Harms. Vermutlich dieselben Täter demolierten auch das private Fahrzeug des Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg. Zu allen drei Angriffen bekannten sich sogenannte „autonome Gruppen“. Zwar ging weder für Vahldieck noch für Harms und Freiberg eine direkte Gefahr von den Anschlägen aus, doch hinter den Attacken steckt eine klare Botschaft: Wir wissen, wo du wohnst, und wir kennen dein privates Umfeld.

Und nicht immer bleibt es nur bei Drohungen. Im Dezember vergangenen Jahres überfielen etwa 20 Vermummte eine Polizeiwache in Hamburg. Sie warfen Fensterscheiben ein und setzten zwei Streifenwagen in Brand. Als die Polizisten aus der Wache eilten, wurden sie von einem regelrechten Hagel teils faustgroßer Steine empfangen. In der allgemeinen Verwirrung versuchten einige Angreifer die Eingangstür mit Fahrradschlössern zu verriegeln, während andere eine brennende Mülltonne direkt an das Gebäude rollten. Fast schon generalstabsmäßig wurden zur Absicherung der Flucht brennende Barrikaden errichtet und sogenannte „Krähenfüße“ auf der Straße verteilt. Sämtliche Angreifer konnten unerkannt entkommen.

Kurz darauf bekannte sich eine Gruppe mit dem Namen „Koukoulofori“ (griechisch für „Kapuzenträger“) zu der Tat und begründete diese mit der Verantwortung der Polizei für den Tod von Alexis Grigoropoulos ein Jahr zuvor. Bereits direkt nach dem tödlichen Schuß auf den Schüler war es in Hamburg und Berlin zu Solidaritätsaktionen sogenannter „Autonomer“ gekommen. Laut dem Verfassungsschutz der Hansestadt ist dies nicht der einzige „Anhaltspunkt für Kontakte der linksextremistischen Szene Hamburgs zu der Griechenlands“. So nahmen nach Angaben der Behörde „Hamburger Aktivisten an einem ‘No Border Camp’ auf Lesbos im Januar 2009“ teil. Ob es auch Verbindungen zwischen der für die Paketbomben mutmaßlich verantwortlichen griechischen Gruppe „Verschwörung der Zellen des Feuers“ und Hamburger Linksextremisten gibt, wird derzeit noch geprüft. Bisher habe man dafür keine Hinweise, teilte der stellvertretende Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, Manfred Murck, auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mit.  Ähnlich äußert sich auch das Bundesamt für Verfassungsschutz: Derzeit werde untersucht, ob und welche Verbindungen die griechische linksextreme Szene nach Deutschland habe. Mehr will die Behörde nicht sagen.

Es sind Vorkommnisse wie der Angriff auf die Hamburger Polizeiwache, die den Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, von einer „Renaissance linken Terrors“ sprechen lassen. Gewaltbereite Linksextremisten würden mittlerweile nicht einmal mehr davor zurückschrecken, gezielt Menschenleben zu gefährden, klagt Wendt. Bei Demonstrationen sei eine zunehmende Militanz zu verzeichnen. „Wer mit Pflastersteinen oder Brandbomben auf Beamte wirft, nimmt deren Tod billigend in Kauf“, warnt der Gewerkschaftschef gegenüber der JF. Erst im Mai waren während einer Demonstration gegen die Sparmaßnahmen der Bundesregierung in Berlin zwölf Polizisten durch einen Sprengsatz verletzt worden, zwei von ihnen schwer.

Wenn Wendt vor linkem Terror warnt, weiß er, wovon er spricht. Im vergangenen Dezember zündeten mutmaßliche Linksextremisten eine aus Gaskartuschen gefertigte Brandbombe, eine sogenannte „Gasaki“, vor der Geschäftsstelle der Polizeigewerkschaft in Berlin. Weitere Anschläge mit baugleichen Sprengsätzen folgten im Februar auf das „Haus der Wirtschaft“ und  die „Stiftung Wissenschaft und Politik“.

Die Bauanleitungen dafür werden in der linksextremen Szene über Untergrundschriften wie Interim oder radikal verbreitet. Seit einem halben Jahr kursiert zudem ein 80seitiges Heft mit dem Titel prisma („prima radikales info sammelsurium militanter aktionen“). Darin finden sich detaillierte Beschreibungen für den Bau von Brandsätzen und Zeitzündern, aber auch Anleitungen für Sabotageakte auf Bahnanlagen und Strommasten.

In einer Ausgabe der radikal hieß es Anfang des Jahres, man wolle mit solchen Bauplänen die „Optionen des organisierten militanten Widerstandes“ vervielfältigen, „um anlaßbezogen und situationsbedingt agieren zu können“. Von der Gasaki erhoffe man sich beispielsweise eine „Anpassung an Aktionsmittel, die in anderen (süd-)europäischen Ländern bereits lange bekannt sind“. Dort sei es „üblicher Brauch“, mit Gaskartuschen in der „klassenautonomen Auseinandersetzung gegen Einrichtungen von Staat und Kapital zu agieren“, schrieb eine Gruppe mit dem Namen „Revolutionäre Aktionszellen“. Polizei und Staatsanwaltschaft sind gegen die Verbreitung solcher Aufrufe nahezu machtlos. Bereits mehrfach durchsuchten die Behörden allein in diesem Jahr diverse linke Buchläden in Berlin und beschlagnahmten dabei Ausgaben der konspirativ hergestellten Zeitschriften. So auch zuletzt Ende Oktober. Im Visier der Fahnder war einmal mehr die aktuelle Ausgabe der Interim, die Bauanleitungen für einen Molotowcocktail und einen zeitverzögerten Brandsatz enthielt.

Polizei befürchtet Solidarisierungsaktionen

Der Berliner Verfassungsschutz sieht dennoch keine Anzeichen für eine Wiederkehr linksextremen Terrors: „Eine erhöhte Gewaltbereitschaft in der Berliner linksextremistischen Szene kann aktuell nicht festgestellt werden“, heißt es auf Anfrage der JF. Es sei aber nicht auszuschließen, daß es im Zuge der Ermittlungen griechischer Sicherheitsbehörden gegen die linksextreme Szene auch zur Solidarisierung seitens Berliner Linksextremisten kommen könnte. „Aufgrund der europaweiten Vernetzungsbemühungen der Linksextremisten“ seien auch „Solidarisierungsaktionen in Berlin möglich.“

Von solchen Warnungen will man auf seiten der politischen Linken erwartungsgemäß nichts hören. Seit Monaten laufen Politiker von Linkspartei, Grünen und SPD, aber auch taz und Junge Welt Sturm gegen die im Juli begonnenen Modellprogramme der Bundesregierung zur Prävention von Linksextremismus. Zwei Millionen Euro hat Familienministerin Kristina Schröder (CDU) in diesem Jahr für die Bekämpfung von Linksextremismus und Islamismus bereitgestellt. Fünf Millionen sollen es im kommenden Jahr sein. Die Prioritäten sind dennoch anders gesetzt. Die Mittel, teilt eine Sprecherin des Ministeriums mit, gingen nicht zu Lasten der Maßnahmen gegen Rechtsextremismus. Dafür stünden jährlich nach wie vor 24 Millionen Euro bereit.

Foto: Linksextremisten auf einer Demonstration: Die Polizei spricht von einer neue Qualität der Gewalt

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