© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/10 12. November 2010

Radikale Kehrtwende
USA: Mit ihrem überzeugenden Sieg bei den US-Kongreßwahlen haben Republikaner und Tea-Party-Bewegung ein deutliches Zeichen gesetzt. Nun müssen den vielen Worten Taten folgen.
Elliot Neaman

Am 2. November bescherten die amerikanischen Wähler der Republikanischen Partei einen überzeugenden Sieg. Sie konnten nicht nur die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückerobern, sondern verzeichneten auch im Senat Zugewinne und erkämpften sich Gouverneursposten und Mehrheiten in den Legislativen der Bundesstaaten. Das Ergebnis war ein unüberhörbarer Protest gegen die Politik des Präsidenten und seiner Regierung und eine deutliche Sympathiebekundung für die Tea Party und die republikanische „Just Say No“-Verweigerungshaltung gegenüber jeglicher parteiübergreifenden Zusammenarbeit – so jedenfalls lautet die geläufige Deutung. Und wie so oft liegt sie falsch oder zumindest nicht ganz richtig.

Wie sich inzwischen gezeigt hat, war Barack Obamas Sieg vor zwei Jahren weniger der Begeisterung für das demokratische Programm zu verdanken als vielmehr dem Frust über George W. Bushs verfehlte Politik. Eine ähnliche Entwicklung hat sich nun unter umgekehrten Vorzeichen vollzogen, und die Republikaner mißverstehen ihr „Mandat“, wenn sie diese geschichtliche Lehre vergessen. Sämtliche Umfragen haben ergeben, daß die Wähler mit beiden Parteien hochgradig unzufrieden sind.

Führende Republikaner betonen nun, die Wähler hätten ihnen ein Mandat zu einer radikalen Kehrtwende in der Gesundheitspolitik erteilt. In Wirklichkeit wollen laut Umfrageergebnissen, die noch am Wahltag erhoben wurden, 47 Prozent der Wähler das von der Obama-Regierung auf den Weg gebrachte staatliche Krankenversicherungssystem beibehalten, während 48 Prozent für seine Abschaffung sind. Die Bevölkerung ist so gespalten wie nie zuvor. Die Wahlen werden weder von den Republikanern noch von den Demokraten gewonnen, sondern von den 25 Prozent Wechselwählern entschieden.

Die demokratischen Parteistrategen würden es niemals offen zugeben, aber in Wirklichkeit sind sie gar nicht so unglücklich über ihre Wahlschlappe, und zwar aus einem einfachen Grund nicht: Ihr Blick ist nach vorne gerichtet, auf die Präsidentschaftswahlen 2012. So schmerzhaft sie den Verlust ihrer gewieften Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, zu spüren bekommen werden – die Republikaner müssen nun innerhalb der nächsten zwei Jahre unter Beweis stellen, daß sie bessere Lösungen für die marode US-Wirtschaft haben.

Sobald die Welle der Begeisterung für die Tea Party, die konservative Ideologen in politisch unentschlossenen swing states wie Ohio und Pennsylvania erfolgreich geritten haben, sich an den Klippen der politischen Realität bricht, dürfte nur noch weißer Schaum übrigbleiben – eine alte Geschichte, die John A. Boehner, der neue Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, schon einmal am eigenen Leib erlebt hat.

Die Mauern aus Tradition und Lethargie sprengen

Im Jahr 1994 gehörte der Sproß einer deutsch-irischen Familie zu den jungen Hoffnungsträgern rund um Newt Gingrich, die eine Art Konservative Revolution einläuten wollten. In ihrem „Vertrag für Amerika“ versprachen sie eine Beschränkung politischer Amtsperioden, eine Reform des Sozialwesens, eine Verschärfung des Strafrechts und einen ausgeglichenen Haushalt. Zwar vermochten sie einige ihrer Ziele zu erreichen, doch 1995 machte Gingrich sich sehr unbeliebt mit einem Haushaltsstreit, der die Regierung handlungsunfähig machte. Bill Clintons mühelose Wiederwahl im Folgejahr war nicht zuletzt Gingrichs Übereifer geschuldet.

Nachdem die Gingrich-Revolutionäre ihre Träume 1998 endgültig begraben mußten, irrte Boehner Jahre in der politischen Wüste umher. Er hat ganz bestimmt keine Lust, die Fehler seines Mentors zu wiederholen. Im Gegensatz zu Gingrich verfügt er zudem über ein angeborenes Verhandlungsgeschick. Im Grunde ist er ein Typ des US-Konservativen, der eher in die Eisenhower- als in die Obama-Ära paßt. Er ist Mitglied in einem Golfverein für weiße Männer, raucht zwei Packungen Camel am Tag, und das evangelikale Sendungsbewußtsein der Tea Party liegt ihm fern.

Boehner wuchs mit elf Geschwistern in einer katholischen Arbeiterfamilie in einem Vorort von Cincinnati auf. Wie viele Katholiken war er während der Kennedy-Jahre bekennender Demokrat, wechselte aber in den siebziger Jahren die Seiten, weil er sich als Jungunternehmer in der Kunststoffindustrie darüber ärgerte, daß seine Steuern höher waren als seine Einnahmen. Er arbeitete mit den Demokraten an der Reform des Rentensystems und wirkte später an der „No Child Left Behind“-Bildungsinitiative der Bush-Regierung mit.

In Wirtschaftsfragen ist Boehner ein konservativer Hardliner, aber er ist vollkommen immun gegen den religiös geprägten Konservatismus, der am liebsten die Trennung zwischen Kirche und Staat abschaffen würde – schließlich weiß er aus eigener Erfahrung, was es heißt, als Angehöriger einer religiösen Minderheit aufzuwachsen. Für die Tea Party jedenfalls ist er alles andere als ein natürlicher Verbündeter.

Um die ihm bevorstehenden Aufgaben ist Boehner nicht zu beneiden: Er muß einen Ausgleich finden zwischen der Schwärmerei der Tea Party, die einen sofortigen Wandel will, und dem praktischen Ziel, die Regierungsausgaben zu kürzen und die Arbeitsweise des Repräsentantenhauses zu reformieren. Bislang ist noch jeder neue Sprecher, der mit dem Ehrgeiz antrat, die geradezu kultisch anmutenden Regeln zu ändern, nach denen in den USA Gesetze verabschiedet werden, gegen eine Mauer aus Traditionsbewußtsein und Lethargie gerannt.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.

 

Erfolg der Tea-Party

Über 30 Tea-Party-Kandidaten haben den Einzug in Senat und Repräsentantenhaus geschafft. Unter ihnen Rand Paul, Marco Rubio und Nikki Haley.

Rand Paul, der 47jährige, der bisher parteipolitisch nicht in Erscheinung getreten ist, errang den Senatssitz in Kentucky. Der Augenarzt ist ein Freund der sparsamen Haushaltsführung, libertär und Anhänger klarer Worte: Die Tea-Party-Bewegung sei die Zurechtweisung für beide Parteien, Demokraten und Republikaner, erklärte er nach der Wahl.

Marco Rubio, der kubanischstämmige Politiker Marco Rubio gilt vielen als die „große rechte Hoffnung“ – jung, dynamisch, adrett und redegewandt. Unterstützt von der Tea-Party-Bewegung, setzte sich der 39jährige Anwalt bei der Senatswahl in Florida durch, wo der konservative  Republikaner zuvor bereits Mitglied des Repräsentantenhauses war. 

Nimrata Nikki Randhawa Haley, Tochter indischer Eltern, wurde zur Gouverneurin von South Carolina gewählt. Der Erfolg der 38jährigen Geschäftsfrau und Republikanerin wird vor allem auf die breite Unterstützung der von der Tea-Party verehrten ehemaligen Vizeräsidentschaftskandidatin der Republikaner, Sarah Palin, zurückgeführt.

Foto: John A. Boehner, Mehrheitsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus: Wenn er es schafft, den Elan der Tea-Party Abgordneten einzubinden, hat er schon viel gewonnen

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