© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/10 12. November 2010

Diskussion über Teilenteignung von Staatsanleihen-Besitzern
Zwangshaarschnitt
Bernd Thomas Ramb

Wer in den sechziger Jahren zur Bundeswehr einrückte und langes Haar trug, mußte einen erzwungenen Kurzhaarschnitt ertragen. In der internationalen Finanzwelt wird unter haircut weniger der Gang der Banker zum Frisör, sondern vielmehr eine Verkürzung des Nennwertes einer Anleihe verstanden. Für gewöhnlich wird am Ende der Laufzeit der volle Einlagebetrag zurücküberwiesen. Wird aber nach dem Kauf ein haircut vereinbart, begnügt sich der Anleger mit einem Bruchteil der Anlagesumme.

Solange der Gläubiger freiwillig auf die Rückzahlung des vollen Betrags verzichtet, ist wenig dagegen einzuwenden. Es gibt zahlreiche zum Teil erfolgreiche Beispiele für eine nachträgliche Beschneidung der Kreditsumme. 2001 erklärte sich Argentinien außerstande, seine ausländischen Gläubiger auszuzahlen. 2005 bot die argentinische Regierung eine Auszahlung der Kredite an, wenn die Gläubiger auf die Hälfte ihrer Forderungen verzichten. Die meisten nahmen das Angebot an, um einen Totalverlust zu vermeiden. Ein Viertel der Schuldensumme verblieb jedoch in der Hand der Haircut-Verweigerer.

Das Beharren auf der vollen Rückzahlung wurde insoweit belohnt, als die argentinische Regierung den hartnäckigen Gläubigern kürzlich erneut eine Umschuldung anbot, bei der nur auf ein Drittel der Forderungen verzichtet werden sollte. Die Argentinier wären gerne ihre Altschulden vollständig los, denn der momentane Zustand zerrt seit fast zehn Jahren an ihrer Kreditwürdigkeit. Kaum einer will noch neue argentinische Staatsanleihen kaufen – und wenn, dann nur mit entsprechend hohem Zinsaufschlag.

Hätte Argentinien alle Gläubiger zum haircut zwingen können, wäre zwar auch die Kreditwürdigkeit angeknackst gewesen, aber nicht in einer dauerhaften Hängepartie. Diese Erfahrung beschäftigt die Euro-Politiker. Trotz aller Rettungsversuche wissen sie genau, daß Griechenland nicht in der Lage ist, seine Staatsschulden abzubauen, ja noch nicht einmal die fällig werdenden Auszahlungen durch neue Kredite auszugleichen. Eine „Umschuldung“ mit deutlichem haircut ist unumgänglich.

Damit jedoch kein Argentinien-Effekt eintritt und zu viele Gläubiger auf bessere Angebote in späteren Jahren hoffen, muß der Haarschnitt erzwungen werden. Das aber ist ein absolutes Novum für Staatsschuldentitel westlicher Länder. Staatsschulden waren bislang so sicher wie goldgedeckte Banknoten. Nun soll jeder Erwerber von staatlichen Schuldverschreibungen damit rechnen müssen, durch einen Beschluß der EU über Nacht einen Teil seiner Anlagen durch Zwangsenteignung verlieren zu können. Nicht nur seiner griechischen, sondern auch seiner deutschen; denn eine solche Regelung kann nicht länderspezifisch sein. Ein Wahnsinnsvorhaben, vor dem die Europäische Zentralbank (EZB) zu Recht eindringlich warnt.

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