© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/10 12. November 2010

Tausend Prozent
Piratenbörse: Wer hat noch Angst vor Cäsar? / Seeräuberei ist ein florierender Wirtschaftszweig geworden
Richard Stolz

Seeräuberei lohnt sich, heute mehr denn je. In der Londoner Wirtschaftszeitschrift Economist wird den Lesern penibel vorgerechnet, daß die somalischen Piraten, welche zur Zeit die internationalen Tankerrouten so spektakulär verunsichern, glänzende Geschäfte machen, durchschnittlich 1.000 Prozent Profit „erwirtschaften“. In jeden Überfall auf einen Tanker müßten in der Regel 30.000 Dollar investiert werden, das jeweils erwirtschaftete Lösegeld hingegen betrage stets über 30 Millionen. Henry Morgan und andere historische Seeräubergestalten würden vor Neid erblassen.

Leider gebe es manchmal Tote oder Verletzte bei den Überfällen, räumt der Economist ein, andererseits aber sei die Seeräuberei in dem total heruntergekommenen Somalia der einzige florierende Wirtschaftszweig. „Die Organisation hinter den Piraten kommt vielen gewöhnlichen Unternehmern vertraut vor“, heißt es in der Zeitschrift, „ihre Logistik funktioniert reibungslos, und um ihre Kontrollinstanzen  beneiden sie die meisten Firmen.“

Inzwischen gibt es in Somalia eine ganz ungeniert für sich Reklame machende „Piratenbörse“, wo interessierte Kunden Anteile an den etwa siebzig zur Zeit operierenden maritimen Überfallsunternehmen kaufen können. Und Professor David James hält an seiner Business School auch schon Vorlesungen über „Piraten-Ökonomie“. Der Hauptgrund für den Erfolg der Piraten sei, lehrt er, „die Vermeidung symmetrischer Konflikte“. Man vermeide frontale Angriffe, schlage stattdessen überraschend aus dem Hinterhalt zu und treffe den Gegner stets an seinem schwächsten Punkt.

Die Seeräuberei, so läßt sich resümieren, ist im Zeichen der Globalisierung zu einem weithin respektierten, gut neoliberalen Wirtschaftszweig aufgestiegen. Einstmals, in der Antike, räucherten die römischen Feldherren Cäsar und Pompeius die damaligen Seeräubernester an den illyrischen Küsten gnadenlos aus. Doch das ist lange her. Heute investiert man lieber in Seeräuber-Aktien. 1.000 Prozent sind eben nicht zu verachten.

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