© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/10 12. November 2010

1943: Europacharta gegen Atlantikcharta
Taube Ohren für europäische Konzepte
(ob)

Polnischen Wissenschaftlern und dem 1935 als Jude entlassenen Kieler Indogermanisten Ernst Fraenkel bot Studi Baltici, das Organ des italienischen Instituts für Osteuropa, 1941 eine Plattform, um Polen im Rahmen faschistischer Europakonzeptionen einen wichtigen Platz anzuweisen. Dies sind nur einige der bemerkenswerten Textfunde, aus denen Monica Fioravanzo (Universität Padua) die nach 1939 zunehmenden Spannungen und Differenzen innerhalb der „Achse“ rekonstruiert, die aus konträren Ideen zur Neuordnung des alten Kontinents resultierten (Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 4/2010). Dabei profilierten sich faschistische Politiker und Intellektuelle seit 1941 verstärkt als Fürsprecher eines „Europa der Nationen“. Ihr Plädoyer für eine der angelsächsisch-universalistischen „Atlantikcharta“ Paroli bietende „Europacharta“ stieß jedoch 1943 in Berlin auf taube Ohren. Adolf Hitler setzte auch nach Stalingrad weiter auf deutsche Hegemonie im europäischen „Großraum“. Diplomaten des Auswärtigen Amtes wie Rudolf Rahn übernahmen jedoch italienische Vorstellungen von der Kooperation gleichberechtigter Nationen und mahnten Amtschef Joachim von Ribbentrop, „endlich europäische Politik“ zu treiben. Was der Reichsaußenminister mit dem barschen Bescheid quittierte, Rahn solle „diese Dinge ihm und dem Führer überlassen“.  www.ifz-muenchen.de

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