© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/10 12. November 2010

„Die Kernkraftwerke müssen weiterlaufen“
Im Gespräch: Physikprofessor Franz Mayinger über die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland
Wolfhard H. A. Schmid

Professor Mayinger, die Bundesregierung hat kürzlich eine Laufzeitverlängerung für deutsche Kernkraftwerke beschlossen. Die Opposition hat dagegen Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. Was halten Sie vom Atomausstieg?

Mayinger: Ich halte es für unabdingbar, daß die alten Kernkraftwerke weiterlaufen. Diejenigen, die die Sicherheitsstandards nicht erfüllen, müssen durch neue ersetzt werden. Neu entwickelte Kernkraftwerke haben sicherheitstechnische Vorteile. Schweden hat nach dem Unfall von Three Mile Island in Harrisburg/Pennsylvania 1979 ein Kernenergiemoratorium verfügt, das allerdings nie ernsthaft umgesetzt wurde. In diesem Jahr hat der schwedische Reichstag beschlossen, daß alte Kraftwerke durch neue ersetzt werden dürfen, was den Kernkraftwerksneubau ermöglicht.

Aber auch die Uranvorkommen sind endlich. Sie sollen – im Gegensatz zur Kohle – nur noch fürs 21. Jahrhundert reichen. Hinzu kommt, daß Uran in politisch instabilen Regionen wie Niger lagert. Ist die Atomkraft wirklich eine Alternative zu Öl und Gas?

Mayinger: Öl und Gas werden, im Gegensatz zu Uran, kaum zur Stromerzeugung eingesetzt. Nach dem Unfall in Tschernobyl wurde kaum mehr nach Uran geschürft, so daß noch größere Uranvorkommen zu erwarten sind, als heute bekannt ist. So wurde im Frühjahr gemeldet, daß in Marokko in Phosphatgestein größere Uranvorkommen zu erwarten sind. Die größten bekannten Uranvorkommen lagern in Australien, Kanada und Kasachstan, also in politisch stabilen Regionen.

Kernkraftwerke benötigen sichere Standorte für Atommüll-Lager, doch der Widerstand in der Bevölkerung scheint groß.

Mayinger: Deutschland war führend in der Erkundung eines Endlagers für Atommüll. Vorgesehen dafür war und ist der Salzstock Gorleben. In ihrer Koalitionsvereinbarung von 1998 legte die damalige Bundesregierung fest, die schon sehr weit gediehenen Untersuchungen zur Eignung des Salzstocks Gorleben vorläufig einzustellen. Andere Länder gingen andere Wege. Sie stützten sich nicht wie die Bundesrepublik auf die „Ein-Endlagerlösung“. Dort werden die Betreiber von Kernkraftanlagen viel stärker in die Pflicht genommen. In Skandinavien etwa werden Endlager in Granit betrieben. Schweden betreibt ein Endlager in der Nähe des Kernkraftwerks Forsmark und Finnland bei Olkiluoto, wo auch zur Zeit der erste europäische Druckwasserreaktor (European Pressurized Water Reactor/EPR) gebaut wird.

Welches Potential haben Energieträger wie Windkraft oder die Photovoltaik?

Mayinger: Energieversorgung ist natürlich nicht mit Stromversorgung gleichzusetzen. So ist der Energiebedarf unserer Automobile nicht zu unterschätzen. Bei der Stromversorgung wird neben Klimaschutz die Wirtschaftlichkeit zu nutzender Energieträger immer wichtiger. Da steht aus verschiedenen Gründen die Photovoltaik nicht besonders gut da (JF 34/10). Auch Strom aus Off­shore-Windkraftwerken wird teurer als ursprünglich angenommen. Die Nutzung von Meereswellen, wie etwa mittels Brandl-Generator, wird für Deutschland kaum eine Rolle spielen.

Die energieintensiven Industriezweige in Deutschland haben ihren spezifischen Energiebedarf kontinuierlich reduziert und sie arbeiten weiter daran. Werden da die geplanten Braunkohlekraftwerke überhaupt noch gebraucht? Bekanntlich wird selbst bei neuester Technologie nur ein Wirkungsgrad von 45 Prozent erzielt. Hinzu kommt die Umweltbelastung.

Mayinger: Es ist richtig, daß die deutsche Industrie schon seit vielen Jahren viel für energiesparende Produktionsprozesse getan hat. Auf Kohlekraftwerke werden wir dennoch nicht verzichten können. Da viele Kohlekraftwerke auf das Ende ihrer auslegungsgemäßen Lebenszeit zugehen, muß an Neubauten gedacht werden. Deutsche Entwicklungen wie die sogenannten Braunkohlekraftwerke mit optimierter Anlagetechnik sind weltweit Spitze, auch was deren Wirkungsgrade betrifft. Höhere Wirkungsgrade erfordern höhere Spitzentemperaturen, was neue hochtemperaturfeste Materialien voraussetzt.

Welche Chancen bietet Energieeinsparen als „Energiequelle“?

Mayinger: Sehr große! In Deutschland gehören die Privathaushalte mit zu den größten Energieverbrauchern. Dies gilt für die Heizung, aber auch für den Pkw-Verkehr. So manches Auto mit 1,5 Tonnen wird nur für den Kauf von zwei Semmeln bewegt. Beim Verbraucher ist noch viel Einsparpotential vorhanden.

Die weltweiten Kohlevorkommen sollen noch für mehrere hundert Jahre ausreichen. Könnte es daher eine Renaissance der Kohleverflüssigung wie im Zweiten Weltkrieg geben?

Mayinger: Die Kohleverflüssigung wurde praktiziert, weil Deutschland von Ölimporten abgeschnitten war. Sie wäre heute als Alternative viel zu teuer. Schubladenprojekte in dieser Richtung sind vermutlich noch vorhanden.

Was empfehlen Sie für die Sicherstellung der Energieversorgung in Deutschland?

Mayinger: Generell empfehle ich ein größeres Risikobewußtsein in unserer Bevölkerung und vor allen Dingen, daß allgemein über Chancen und Risiken fair berichtet wird. Leider ist das Risikobewußtsein weitgehend abhanden gekommen, was an dem mangelnden Technikbewußtsein liegt. In Deutschland werden zwar technische Produkte akzeptiert und gerne angenommen, aber die Technik, die dahintersteht, wird verteufelt. Wir müssen aber auch lernen, bescheidener zu leben.

 

Prof. Dr. Franz Mayinger ist Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (BAdW). Er war Ordinarius für Thermodynamik an der TU München und Vorsitzender der Reaktorsicherheitskommission (RSK). www.badw.de

Foto: Atomkraftwerk in Gundremmingen im schwäbischen Landkreis Günzburg: „Auf Kohlekraftwerke werden wir nicht verzichten können“

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen